2012 – Das Ende aller Zeiten
Eltern – waren fast mit Sicherheit im großen Schlafzimmer des Obergeschosses, und jemand anderer, wahrscheinlich der kleine Bruder, war in einem der beiden Zimmer an der Hinterseite des Hauses. Madison – den wir alle schon duzten und mit Vornamen anredeten – befand sich aller Wahrscheinlichkeit nach in seinem Zimmer.Alle anderen Messungen zeigten, was als ein »zu nächtlichem Schlaf passendes Muster« bezeichnet wurde. Das heißt, in Erd- oder Obergeschoss liefen weder Fernseher, noch waren Lampen eingeschaltet. Über eine Stunde lang war an keinem Computer mehr eine Maus bewegt worden. Telefone, PDA s und andere mit dem Netz verbundene Geräte waren inaktiv. Die Leistungsaufnahme war nicht schlüssig, was bedeutete, dass im Keller irgendetwas, aber nichts Großes, in Betrieb sein konnte. Wahrscheinlich hatte sich jeder hübsch ins Bett gekuschelt. Während Visionen vom Völkermord in ihren Köpfen tanzten. In einem Kopf.
»Sie überlegen, den Zugriff um fünf Minuten zu verschieben«, kam Anas Stimme über den allgemeinen Lautsprecher. Im Hintergrund hörte man Stimmengewirr. »Die Schläuche anschließen.«
»Danke, Miss Vergara«, sagte Boyle. Miss, hm? An jedem anderen Tag hätten ich und jeder andere gekichert. Heute nicht. Ana – die sich immer weniger als Muschkotin erwies und immer mehr als Spielerin – gehörte zu den ungefähr dreißig Gästen im Anhänger eines todschick umgebauten Sattelanhängers, der zehn Blocks von Hausnummer 820 entfernt parkte.
»Okay, da wären sie«, sagte Ana. Ihr Cursor glitt in Fenster 5, in dem ein vierköpfiges Team herumwuselte und soeben lange, dick isolierte Schläuche am Heck der beiden chromglänzenden Tankwagen befestigte. Sie führten die Schläuche in zwei säuberlichen Strecken am Boden bis zu einer Entfernung von fünfzehn Metern an Nr. 820 heran; gut hundert Meter ringelten sich als Reserve an den Enden. Nach kurzem Innehalten drehte jemand ein Ventil, und jeder Schlauch blähte sich bis knapp vor dem geschlängelten Abschnitt auf, wo sich wohl ein weiteres Ventil befand. Man sah bereits, wie Luftfeuchtigkeit an den Schläuchen kondensierte. Sie waren voll Flüssigstickstoff, mit dem wir, wie wir hofften, den Bock bändigen konnten.
Am ersten Ermittlungstag hatte die Kriminalpolizei herausgefunden, dass Madison nur noch »einen Schritt« vom Zugang zu einer sich vermehrenden Population eines »zweckbestimmt gezüchteten« Stamms von Brucella abortus entfernt war. Nach dem zweiten Tag galt als bestätigt, dass seine Internetaktivitäten, besonders die Haplotypkarten, die er heruntergeladen hatte, darauf hindeuteten, dass er tatsächlich ihr Erbgut manipulierte. Brucellen sind eine altehrwürdige, verlässliche Familie von Bakterien, etwas, womit man sich ansteckt, wenn man zum Beispiel eine Wasserbüffelkalbgeburt einleitet oder mit Alexis Sorbas unpasteurisierte Ziegenmilch trinkt. Im Laufe der Jahre erhielten Brucellosen so schöne Namen wie Mittelmeerfieber, Maltafieber, Undulierendes Fieber, Ziegenfieber oder Morbus Bang plus hundert weitere. Wir nannten es einfach den »Bock«. Die Symptome waren nicht spektakulär: Ausbrüche von Schweiß, der nach feuchtem Heu roch, Muskelschmerzen, Ohnmachtsanfälle und, natürlich, Tod. Eine Aussicht, die ziemliche Angst einflößt, besonders die Sache mit dem Schwitzen. Auf dem Weg in die Vergessenheit sollte man deshalb daran denken, sich noch ein biologisch abbaubares Crystal-Deodorant einzustecken.
Der Bock gründete seinen traurigen Ruhm vor allem darauf, dass er der erste Bazillus gewesen war, der je von den USA auf Waffentauglichkeit untersucht wurde. 1953 war er an Tieren erprobt worden, indem man die gleichen grapefruitgroßen Streubomben einsetzte, die man später für Milzbrand benutzte. Die Luftwaffe hatte sich für Brucellen entschieden, weil sie im Gegensatz zu den meisten anderen Bakterien in der Luft stundenlang überleben konnten und, was noch aufregender war, intakte menschliche Haut durchdringen konnten. Selbst wenn man eine ABC -Schutzmaske trug und sie in luftdichten, ventilierten Zellen wechselte – sobald sich irgendwo ein bisschen bloße Haut zeigte, brauchte man sich um Altersarmut keine Gedanken mehr zu machen.
Dennoch waren in den Siebzigerjahren die Überreste dieser Stämme außer Dienst gestellt und in zwei Iglus des Arsenals von Pine Bluff in Arkansas eingelagert worden. Und in den Achtzigerjahren wurden sie angeblich restlos vernichtet. Doch irgendjemand musste sich
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