2012 – Das Ende aller Zeiten
nehmen …
»Sehen Sie gerade auf den Achtundzwanzigsten?«, fragte Marena.
»Ja.«
»Was halten Sie davon?«
»Es sieht eigenartig aus.« Dass ich selbst einige merkwürdige Ergebnisse erzielt hatte, was dieses Datum anging, erwähnte ich nicht. Ich rede nicht gern wie ein Kaffeehaus-Medium.
»Also ist es ein wirklich schlimmer Tag?«
»Das hängt davon ab, wer Sie sind. Sie wissen schon, wie in dem Sprichwort: Des einen Freud …«
»Okay, okay. Was halten Sie davon, was Michael darüber sagt?«
»Tja … hmm. Am wichtigsten ist zunächst mal, dass ich die erste Hieroglyphe für einen Ortsnamen halte. Es ist nicht nur das Wort ›Stadt‹, wie Weiner meint. Es steht für eine bestimmte Stadt.«
»Und welche?«
»Schauen Sie.« Ich legte das Netphone um und schob es ihr rüber. Sie beugte sich vor, und beinahe strich mir ihr Haar über die Stirn. »Das Infix hat ein …«
»Was ist ein Infix?«
»Etwas, das Sie mitten in ein Wort einfügen. Oder hier, in eine Hieroglyphe. Englisch zum Beispiel kennt nur Präfixe und Suffixe, vorangestellte und angehängte Silben, aber keine Infixe.«
»Was ist mit ›fucking‹?«
»Wie bitte?«, fragte ich.
»Sie wissen schon, wie in Ala- fucking -bama.«
»Oh. Sie haben recht. Vielleicht ist das die einzige Ausnahme.«
»Egal, mian hamnida , bitte fahren Sie fort.«
»Richtig. Das Toponym … das ist das Piktogramm in der mittleren Hieroglyphe, das Kreuz mit den vier kleinen Pyramiden …«
»Ja?«
»Weiner befasst sich gar nicht damit. Aber es unterscheidet sich von vielen Stadthieroglyphen. Es ist ein Kosmogramm, das dem Brett des Opferspiels sehr ähnelt. Sie wissen doch ein wenig über Taros Untersuchungen des Spieles, oder?«
»Ja, ich weiß ein wenig darüber.«
»Sie wissen, dass es auf dem Brett fünf Richtungen gibt?«
»Nicht vier?«
»Vier Himmelsrichtungen und dazu das Zentrum.«
»Hm.«
»Entscheidend ist, dass jede Richtung eine andere Farbe hat. Stimmt’s?«
»Stimmt.«
»Tatsächlich visualisieren alle Indianer und viele Asiaten die Himmelsrichtungen auf diese Weise.«
»Tatsächlich?«
»Hat Taro Ihnen von dieser Jaipur-Sache erzählt?«
»Was?«, fragte sie. »Nein.«
»Sie wissen Bescheid über die Stadt Jaipur in Indien?«
»Aniyo.« Sie schüttelte leicht den Kopf, sodass auch jemand, der kein Koreanisch sprach, verstehen konnte, dass es »Nein« hieß.
»Okay … nun, Ihnen ist aber bekannt, dass Taro postuliert, eine Version des Opferspiels sei der Stammvater der meisten modernen Spiele gewesen, nicht wahr? Oder vielleicht sogar aller Spiele. Wissen Sie, sogar Schach und Go hatten früher eine vierseitige Symmetrie. Beides waren ursprünglich Spiele für vier Spieler. Und ganz bestimmt sind Spiele wie Mah-Jongg und Bridge und Backgammon …«
»Ich glaube, er sagte, es sei wie Pachisi«, unterbrach sie mich.
»Richtig«, erwiderte ich. »Ganz genau – der engste Abkömmling, der heute noch gespielt wird, ist Pachisi. Pachisi war das heilige Spiel der Brahmanen. Auf der ganzen Welt gibt es Hunderte lebendiger Versionen davon. Und das Pachisi-Brett ist ein thanka . Sie wissen schon, ein Mandala. Zum Meditieren und so.«
»Ich komme mir ein bisschen dumm vor, weil ich Spiele entwickle, und jetzt ist es, als würde ich überhaupt nichts von Spielen verstehen.«
»Nun, es ist ziemlich esoterisches Zeug. Aber was ich sagen will … Mandalas dienen nicht nur dazu, sie anzustarren. Sie werden gespielt. Oder man wandert in ihnen umher. Zum Beispiel wurden in Südostasien Pagoden nach dem Vorbild von Mandalas gebaut. Sie könnten auch sagen, nach dem Spielplan auf einem Pachisi-Brett. Genauso, wie man Kathedralen als Kreuz anlegt. Und in ganz Asien findet man diese Stupas und Tempel und Vats …«
»Ach herrje.«
»… und die ganze Stadt Jaipur ist nach dem Muster eines Pachisi-Bretts angelegt.«
»Ah, narohodo« , sagte sie. Das hieß: »Ich verstehe.« Sie übertrieb es ein wenig mit der asiatischen Hauchigkeit. Eine der guten Seiten ethnischer Zugehörigkeit ist, dass man wenigstens einen Akzent verspotten kann, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen.
»Aber es gibt auch eine Vielzahl indianischer Versionen des gleichen Spiels. Damit meine ich nicht nur das Opferspiel. Die aztekische Version hieß patolli . Montezuma hat es gegen Cortez gespielt. Es ist wie in Asien, nicht nur Spielbretter zeigten diesen Aufbau. Ballspielplätze der Maya und wahrscheinlich ihre Pyramiden und manchmal vielleicht sogar ganze
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