2012- Die Rückkehr
sie auf der Dunklen Straße nach Xibalba .
39
Jake, wo sind wir?«
»Die Maya nannten es Xibalba Be - die Schwarze Straße in die Unterwelt. Ich vermute, wir sind immer noch auf der Erde, allerdings irgendwo tief im Untergrund.«
Er schiebt die Schwertklinge zwischen seinen Gürtel und das Exoskelett. Dann nimmt er Dominique bei der Hand und führt sie durch die Schlucht. Die nur knapp zweieinhalb Meter breite Passage windet sich zwischen gewaltigen Felswänden hindurch, die so hoch und so steil sind, dass sie die lavaartige scharlachrote Decke, die über ihren Köpfen glüht, fast zum Verschwinden bringen.
Dichte Rauchschwaden lassen die Schatten tanzen. Die grauen Kalksteinfelsen sind über und über mit Feuchtigkeit bedeckt. Die bleifarbene Erde ist so feucht wie nasser Sand, und bei jedem Schritt sinken ihre Füße tiefer ein. Ein zugleich leise und schrill pfeifender Wind streicht durch die Schlucht und überzieht ihre Gesichter und ihre Schutzanzüge mit einer feinen grauen Staubschicht.
Jacob bleibt stehen. Er sieht nach oben.
Das Geräusch schlagender Flügel erfüllt die Schlucht.
Dominique umfasst seine Hand fester und deutet nach vorn.
Mit dem Rücken zur Wand der Kluft sitzt dort ein humanoides Wesen auf dem Boden.
Es ist eine transhumane Frau. Ihr rasierter verlängerter Schädel zeigt die Tätowierung eines Jaguarfells, die ihr als Haar dient. Bis auf ein zerfetztes Stück Stoff, das kaum ihren herrlichen Oberkörper bedeckt, ist sie nackt. Die rechte, dem Wind ausgesetzte Seite ihres Torsos ist mit einer ölig-grauen Flüssigkeit bedeckt.
Die Frau schaukelt vor und zurück. Ihre dunklen, verängstigten Augen sind vom Weinen purpurn gerötet.
Sie gehen auf die Frau zu. Jacobs Hand ruht auf dem Griff seines Schwerts.
Dominique kniet neben der Frau nieder, ganz ihren mütterlichen Instinkten hingegeben.
»Mutter, nicht.« Er packt ihren Arm und zieht sie zurück.
»Jake, hab doch ein wenig Mitleid. Kannst du nicht sehen, wie tief verängstigt sie ist?«
»Wir wissen nicht, wer oder was sie ist.«
Das Flügelschlagen wird lauter; in der engen Schlucht hört es sich an wie das Maschinengewehrfeuer längst vergangener Zeiten.
Auch die Frau hört es. Sie gerät in Panik, springt auf und rennt durch die Kluft davon.
Dominique sieht ihren Sohn an. Dann stürmt sie der Frau hinterher.
»Mutter, warte …«
Jacob will ihr nachsetzen, doch gleich darauf muss er innehalten, denn mit dem mächtigen Schwert, das ihm von der Hüfte baumelt, kann er nicht rennen. Er zieht es aus dem Gürtel; dann sprintet er ihnen nach durch die gewundene Schlucht.
Die Schlucht endet, doch Dominiques Fußabdrücke ziehen sich immer weiter. Von irgendwoher hört er das Tosen der Brandung. Er bleibt am Rand des Berges stehen und wischt sich die graue Feuchtigkeit aus den Augen. Dann sucht er nach seiner Mutter.
Die schmale Passage durch den Berg öffnet sich auf ein sumpfiges Ufer hin. Silberne Wellen schlagen gegen die unirdische Küstenlinie, die von einer Art Algen und großen, toten, von Staub überzogenen Palmen bedeckt ist.
Seine Mutter ist ein Stück vor ihm und versteckt sich in einem Spalt einer großen Felsformation. Sie deutet auf etwas.
Mehrere Holzpfosten, dick wie Telefonmasten, ziehen sich am Ufer entlang. Dutzende von transhumanen Frauen sind mit schweren Eisenketten um den Hals an die Pfosten gefesselt. Ihre nackten, geschundenen Körper sind von blutigen, purpurnen Narben übersät, die von Klauen stammen.
Das Flügelschlagen wird noch lauter; jetzt kommt es irgendwo aus der Höhe näher. Die weiblichen Gefangenen ducken sich hinter ihre Pfosten wie verängstigte Kinder.
Und dann sieht Jacob das Wesen.
Die dunkle Gestalt des Fleisch gewordenen Seraphs kreist wie ein Falke viele Dutzend Meter über dem Strand. Der Oberkörper des Wesens zeigt mächtige Muskeln, seine bizarren, sechs Meter langen Flügel ragen aus seinem genetisch veränderten Rückgrat und seinem Musculus latissimus dorsi.
Devlin …
Jacob und Dominique bleiben völlig regungslos in Deckung.
Der geflügelte Seraph entdeckt eine Bewegung unter dem aufgehäuften Tang. Es ist die geflohene Frau.
Er legt seine Flügel an und rast im Sturzflug nach unten wie ein Pelikan, der einen Fisch entdeckt hat.
Die Frau schleudert ihre Tarnung beiseite und rennt auf die schützenden Klippen zu.
Jacob gibt seiner Mutter das Zeichen, sich nicht von der Stelle zu rühren, und nimmt sein Schwert in beide Hände.
Der Seraph gleitet über
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