2012- Die Rückkehr
tun?«
Die Frau deutet auf einen schmalen Felssims. Er ist zwanzig Zentimeter breit und zieht sich in der Richtung, in der ihr Ziel liegt, um die Felswand herum.
»Dieser Sims? Der ist doch so schmal, dass man nicht darauf gehen kann.«
Die Frau dreht ihre Hände hin und her, womit sie zu verstehen gibt, dass sie das Plateau hinter sich lassen werden. Dann werden sie sich am Sims festhalten und sich Zentimeter für Zentimeter um die Felswand herumschieben.
Dominique bricht der Schweiß aus, sodass das Thermostat anspringt und die Temperatur in ihrem Schutzanzug um acht Grad gesenkt wird. »Das ist Selbstmord. Wir werden nie … ich weiß, ich weiß … Hab Vertrauen .«
Die transhumane Frau führt sie an den Felsvorsprung. Sie deutet auf ihre Augen und warnt Dominique davor, in die Tiefe zu blicken.
Die Frau mit dem verlängerten Schädel legt sich auf den Bauch und schiebt sich auf den Sims, wobei sie ihren Körper vorsichtig absenkt, bis ihr Gewicht nur noch von ihren Handflächen und den Innenseiten ihrer Handgelenke gehalten wird.
Dominique beißt nervös in die Gummiisolierung ihres Regulators. Sie pinkelt in den Urinbeutel des Schutzanzugs,
während sie zusieht, wie sich ihre Gefährtin an der nackten Felswand entlangschiebt, bis sie selbst niederkniet.
Tu’s einfach. Es gibt schlimmere Arten zu sterben.
Halt die Klappe! Du wirst nicht sterben. Du wirst es schaffen und deine Familie finden. Jetzt schieb deinen Arsch über diesen Felsvorsprung.
Vorsichtig senkt sie ihren Körper ab. Die Muskeln in ihrem Körper zittern, und ihre Stiefelspitzen suchen nach Trittlöchern im Fels. Eine Hand vor die andere setzend schiebt sie sich um die nackte Felswand herum.
Während sie ihre Handgelenke anspannt und mit den Füßen nach Felsmulden tastet, entdeckt sie überrascht, dass sie tatsächlich Fortschritte macht. Rechte Hand, linke Hand … rechte Hand, linke Hand …
Sie ignoriert die glühenden, schmerzhaft gedehnten Sehnen in ihren Handgelenken und wiederholt unablässig ihr Mantra.
Rechte Hand, linke Hand … rechte Hand, linke Hand … Nur noch viereinhalb Meter … Rechte Hand, linke … Sei bloß nicht so ängstlich. Das Tauchen damals in dieser Cenote zusammen mit Mick, das war wirklich unheimlich.
Sie hält inne und sieht, dass ihre transhumane Gefährtin stehen geblieben ist.
Die Augen der Frau blicken hinauf zum unechten Himmel. Sie sind vor Entsetzen weit aufgerissen, als werde sie von jemandem auf telepathischem Weg beschimpft.
Wie bist du entkommen, Teresa? Hat dich der andere Zwilling befreit?
Lass mich in Ruhe, Hexe!
Antworte mir, oder ich werde mir aus deinen Eltern ein Festmahl bereiten.
Die transhumane Frau lächelt. Fahr zur Hölle. Sie drückt sich von der Felsklippe weg und fällt … und fällt …
»O mein Gott«, schreit Dominique, als der Körper der Frau in den Schatten des Abgrunds verschwindet.
Unten in der Schlucht blitzt ein unirdisches Licht weiß auf und erlischt.
Dominique starrt dort hinunter, während sie in ihr Mundstück hyperventiliert. Was war das? Was ist da gerade geschehen?
Für einen langen Augenblick verharrt sie völlig regungslos; ihr Geist steht kurz davor zusammenzubrechen.
Dann denkt sie wieder an Jacob.
Okay, los geht’s … nimm all deine Kraft zusammen und bring es zu Ende. Arsch hoch!
Die Fingerspitzen ihrer rechten Hand drücken sich in den Fels, die Muskeln in ihrem Kreuz und ihren Hinterbacken spannen sich an, um ihr Gewicht zu verschieben.
Rechte Hand, linke Hand, rechte Hand, linke Hand … Zweieinhalb Meter … Konzentrier dich auf den Felsvorsprung … Rechte Hand, linke Hand, rechte Hand, linke Hand … Ein Meter … Ein halber Meter …
Getragen von einer Woge Adrenalin und schierer Willenskraft, gelingt es Dominique, den rechten Stiefel auf den Sims über ihrem Kopf zu heben, während sie ihr prekäres Gleichgewicht hält … dann schiebt sie das Knie hoch und dann den Oberschenkel …
… und dann ihren Oberkörper.
Sie rollt auf eine Felsebene, keucht, weint und lacht gleichzeitig, während sie über ihr Mundstück tief ein und aus atmet.
Einfach nur atmen …
Nach einer Weile setzt sie sich hin. Schließlich steht sie auf und folgt dem Plateau bis zu einem Steilhang - einem sechzig Meter hohen Grat, der sich um den gesamten Gipfel zieht und ihr die Sicht versperrt.
Dominique ist mehr als nur erschöpft. Ihre Gelenke schmerzen, ihre Hände und Handgelenke sind aufgerissen, und ihre Bein- und Rückenmuskeln brennen bei
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