2012 - Schatten der Verdammnis
wieder da.«
»Mick, warte doch! Was willst du denn besorgen?«
»Eine Tauchausrüstung. Wir müssen uns den Cenote mal genauer anschauen.«
Großartig, Mrs. Freud. Jetzt hast du ihn auch noch ermutigt.
Ärgerlich über sich selbst tritt sie aus dem Schuppen und geht ins kleine Lehmhaus der Formas, das mit bunten mexikanischen Motiven geschmückt ist. Sie findet einen Teller mit gebratenen Bananen und Maisbrot auf dem Küchentisch und setzt sich, um zu essen.
Da fällt ihr Blick aufs Telefon.
AUS DEM TAGEBUCH VON JULIUS GABRIEL
Es war im Sommer 1985, als wir wieder in Nazca eintrafen.
Das erste halbe Jahr pendelten wir täglich zwischen der Wüste und einer kleinen Wohnung in Ica, einem lebhaften, gut hundertvierzig Kilometer nördlich gelegenen Städtchen hin und her. Dann zwang unser schwindendes Budget uns zu einem Ortswechsel, und ich besorgte uns eine spartanische, zwei Zimmer große Behausung in dem Bauerndorf Ingenio.
Von dem Geld, das ich für den Verkauf unseres Wohnwagens bekommen hatte, konnte ich einen kleinen Heißluftballon anschaffen. Jeden Montagmorgen schwebten Maria, Michael und ich in dreihundert Metern Höhe über die Einöde, um die unzähligen geometrischen Strukturen und die fantastischen Tiere zu fotografieren, die in den Fels gescharrt sind. Den Rest der Woche widmeten wir einer eingehenden Analyse der Aufnahmen, von denen wir uns einen Hinweis auf den Eingang zur Pyramide des Kukulkan erhofften.
Fast überwältigend an der Aufgabe, die Zeichnungen von Nazca zu interpretieren, ist die Tatsache, dass sie mehr
falsche Hinweise enthalten als wahre. Hunderte von Tierfiguren und Tausende abstrakte Formen bedecken die öde Leinwand wie prähistorische Graffiti. Die Mehrzahl davon wurde nicht von dem ursprünglichen Künstler geschaffen. Rechtecke, Dreiecke, Trapeze und Parallelen breiten sich über das fünfhundert Quadratkilometer große graubraune Tafelland aus. Manche der unglaublich geraden Linien sind über vierzig Kilometer lang. Schließt man noch die menschenähnlichen Figuren ein, die in die umgebenden Hänge gescharrt sind, wird klar, wie entmutigend unsere Aufgabe war. Dennoch gelang es uns schließlich, eine Reihe von Zeichnungen zu identifizieren, die unserer Meinung nach am meisten Aussagekraft besaßen.
Es sind die älteren, kunstvoller ausgeführten Figuren, in denen die wahre Botschaft von Nazca verborgen ist. Man kann nur raten, wann sie entstanden sind, aber wir wissen, dass sie mindestens fünfzehnhundert Jahre alt sind.
Die Hieroglyphen haben zwei Funktionen. Jene Bilder, die wir als >primär< bezeichneten, erzählen die Geschichte, die hinter der alten Prophezeiung des Weltuntergangs steckt. In der Nähe dieser Symbole sind >sekundäre< Figuren eingescharrt, die wichtige Hinweise zur Entschlüsselung ihrer Bedeutung enthalten.
Die Geschichte, die der Künstler erzählt, beginnt in der Mitte der gewaltigen Leinwand mit einer Figur, die Maria den Strahlenkranz von Nazca getauft hat. Er ist ein makelloser Kreis, von dem dreiundzwanzig Linien ausgehen. Eine dieser Linien ist länger als die anderen und führt sechsunddreißig Kilometer weit durch die Wüste. Zwölf Jahre später fand ich heraus, dass diese verlängerte Linie einen exakten Bezug zum Gürtel des Orion aufweist, und kurz danach fand Michael im Zentrum ihres geheimnisvollen Ausgangspunktes jenen Iridiumbehälter, der eine uralte Weltkarte enthielt (siehe Eintrag vom 14. Juni 1990). Die Karte wiederum schien darauf hinzudeuten, dass der entscheidende Kampf um den drohenden Weltuntergang auf
der Halbinsel Yukatan und im Golf von Mexiko stattfinden sollte.
Ganz in der Nähe des Strahlenkranzes befindet sich das Bild der Spinne. Die Gattung, die es darstellt (Ricinulei), gehört zu den seltensten der Welt und findet sich nur im Amazonasbecken, und zwar in den abgelegensten Regionen des dortigen Regenwaldes. Wie die Wale und der Affe ist die Spinne eine Tierart, die nicht in die peruanische Wüste gehört. Aus diesem Grund schrieben wir ihr eine demonstrative Funktion zu. In diesem Fall ging es offenbar um den Himmel. Wie sich herausstellte, ist die Spinne ein unglaublich präziser Wegweiser, der den Beobachter - wieder einmal! - auf das Sternbild Orion aufmerksam macht. Die geraden Linien des Spinnenleibes sind so orientiert, dass mit ihrer Hilfe die wechselnde Deklination der drei Sterne des Oriongürtels berechnet werden konnte. Damit beziehen sie sich auf dieselben Himmelskörper, deren sich die Ägypter
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