2012 - Tag der Prophezeiung: Roman (German Edition)
4-Kaninchen nicht mehr entfaltet worden, in der ersten Sonne des ersten Tuns im achten roten Hotun, 493 n. Chr., zur letzten Vierfachkonjunktion von Saturn, Venus, Mars und Jupiter vor einhunderteinundsiebzig Jahren.
Der Dolmetscher gab mir die Schnur.
Okay. Alles klein. Warten sinnlos, dachte ich. Nicht jeder in der Menge konnte alles sehen, aber die Groß-Geblüte links und rechts von mir bekamen alles mit.
So etwas lässt sich nicht spielen. Keine Chance. Mach schon, bring’s hinter dich.
Ich wickelte einen frischen Rochenstachel aus, den ich so vorsichtig handhabte wie eine Kommunionsoblate, und band ihn an das eine Ende der Schnur, als fädelte ich eine Nähnadel ein.
Los geht’s!
Ich band meinen knappen Lendenschurz auf und nahm meinen Penis heraus. Das war ein bisschen peinlich, nicht weil ich angab oder so etwas, sondern weil er so klein aussah und den Schildkrötenkopf in die lange Vorhaut einzog. Wie eine Mimose schreckte er vor dem Unausweichlichen zurück.
Wappne dich, du kleiner Kerl.
Jetzt, jetzt, JETZT JETZT JETZJETZJETZT . Ich hielt den Schaft, schob den Rochenstachel rechts oberhalb der Eichel in die Unterseite und schob die Spitze nach vorn in den Raum zwischen loser Haut und der Fascia penis profunda , die die Schwellkörper umfasst.Knapp unter der Krone schob ich sie wieder hinaus und zog die Dornenschnur nach. Der erste mentale Zustand, dessen ich mir bewusst wurde, war blanker Unglaube, eine Fassungslosigkeit, dass ich so etwas empfinden und dennoch weiterleben konnte. Der Dolmetscher setzte das Becken mit der Chilispirale links neben mir ab, stellte ein großes Terrakottatablett vor mich und warf dreizehn dreieckige Stücke aus blauem Opferpapier hinein. Er schien den Menstruationsfluss aus meiner Eichel zu begutachten, dann trat er zurück. Ich war mir der Dutzende von Groß-Geblüten nur zu bewusst, die sich näher beugten und nur auf eine Gesichtsregung oder ein Zucken des Schmerzes warteten, das beweisen mochte, dass ich nicht der Eine war. Ich ließ die Schnur über dem Papierhaufen baumeln, zog sie weiter durch und verspritzte rote Punkte. Ich beobachtete, wie mir das Blut aus den Lenden lief, über die Bänder an meinen Beinen hinunter auf das Tablett, wie es über dessen Rand und die Treppe hinunter in die Welt rann, wie das Innere zum Äußeren, wie das Privateste dem Universum offengelegt wurde. Es ergab durchaus Sinn. Ich zog die Schnur Hand über Hand durch, so langsam, wie es ging. Es war die längste Schnur im ganzen Universum. Und die dickste. Dagegen war das transpazifische Kabelsystem ein Stück Zahnseide. Komm schon. Zu spät, um jetzt noch zu jammern. Weiter. Weiter. Weiter. Weiter. Die Hitze des Capsaicins hatte sich bereits über meinen ganzen Körper ausgebreitet, summte auf meinen Trommelfellen und aktivierte Tränenkanäle, die ich abzuschotten versuchte. Es gelang mir, einfach nur dazustehen, ohne eine Seillänge hoch in die Luft zu springen und den Schmerz hinauszubrüllen. Stattdessen zog ich und zog, Hand über Hand, während die Schnur dem vorgebohrten Kanal folgte. Es war Leiden um seiner selbst willen, oder um seiner Klarheit willen. Für Genießer des Schmerzes ist es wie bei allem anderen, wie bei jedem Geschmack, an den man sich gewöhnt hat: Man beginnt ihn zu kontrollieren, man lernt, wie man ihn auf seinen Körper und auf die Zeit verteilt, wie man am äußersten Rand seines immer größer werdenden persönlichen Limits balanciert, ohne in den Wahnsinn abzustürzen. Man lernt, wie man sich von seinem Körper trennt und in den Äther hinausschwimmt. Man lernt, wie man vierhundert unterschiedliche Schattierungen vonSchmerz auseinanderhält. Es ist eine vergessene Kunstform, genauso wie das Bildhauen in Obsidian.
Ich zog den letzten Dornenknoten durch, der mit einem Sprühregen aus Blutströpfchen herauskam. Dann legte ich das Ende der blutigen Schnur auf das Opfertablett, wo sie sich zusammenringelte. Der Nachschmerz setzte bereits ein, und die Endorphine schossen literweise durch meine Kapillaren. Schmerz befreit einen von sich selbst, bringt einen zu sich selbst zurück. Der Dolmetscher nahm das Tablett, hob es hoch und zeigte es den Himmelshöhlen der vier Richtungen; dann setzte er es auf ein Kohlebecken. Blutrauch stieg in sich ringelnden Schwaden empor, als meine Essenz in die hintersten Winkel der großen Gaswolke gesandt wurde.
Ich stand da und schwankte leicht in der verzerrten Schwerkraft. Vielleicht war es nur ein Funken meiner
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