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2012 - Tag der Prophezeiung: Roman (German Edition)

2012 - Tag der Prophezeiung: Roman (German Edition)

Titel: 2012 - Tag der Prophezeiung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian D'Amato
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verblüfft. Das war schon ein Anblick. Nichts Biologisches, sondern etwas Physikalisches oder Technisches, ich weiß nicht, was, vielleicht so, wie wenn Hunderte Pacman-hafter magnetischer Dipole durch das Reich eines Speicherbausteins aus synthetischem Granat pulsieren. Jeder Addierer ging auf den Schlag hin vorwärts nach außen, auf den Linien, die die Punkte des Rasters trennten, die Zwischenräume zwischen den Kreuzungen; jeder marschierte von seiner alten Position an eine neue, die durch seine individuelle Zählung der Tage und Zyklen bestimmt wurde, welche sich wiederum unterschieden, weil jede Person einen anderen Zyklus repräsentierte, den er auf seinen Stäben oder seiner Trommel zählte, und der Zyklus jeder einzelnen Person war eine einzigartige mathematische Reihe, die einige Schläge ausließ, andere dafür dreimal zählte, zum Beispiel. Diese Reihe änderte er abhängig davon, den Weg welcher Personen er auf seinem nichtwillkürlichen Marsch schnitt. Auf einer menschlichen Skala zeigten die Bewegungen Ähnlichkeit zu den Rekonstruktionen von Menuetten aus der Renaissance; sie wiesen auch Merkmale der Stocktänze in Gujarat oder des schon erwähnten Morris-Dance auf. Doch obwohl die Bewegungen tanzähnlich abliefen, dienten sie offensichtlich nicht nur der Wirkung, sondern bewirkten tatsächlich etwas: Sie bauten etwas auf.
    Jetzt hielten die Personen inne. Zwei Läufer waren aus dem »Tanz« ausgeschieden – das heißt, ihr Weg hatte sich mit dem eines Fängers gekreuzt, und sie waren gefangen –, doch sie wurden nicht getötet, weil es noch nicht nötig war, denn noch wurde nicht richtig vorausgezählt. Die beiden schlichen sich unauffällig durch den Wald aus aufgerichteten Häschern, die in Reih und Glied dastanden wie nordkoreanische Soldaten bei der Parade.
    »Nun wartet«, sagte Koh, und ihr Herold wiederholte es. »Nun
    Geht er fiebernd weiter, sie rastet, schöpft Atem.«
    Damit meinte sie, dass sie einen Schlag lang warten sollten, wo sie standen. Die Häscher wirkten ungeduldig und machten den verbliebenen Gehetzten Zeichen, als wollten sie versuchen, sie aus der Entfernung zu packen. Ich hätte es für aufsässig halten können, aber in Wirklichkeit fielen sie bereits in die Trance ihrer Rolle. Kohs Dienerin legte die Spielmatte vor sie auf den Tisch und stellte einen eng geflochtenen Korb und ein kleines Kohlebecken in Richtung Bühnenhintergrund gleich dahinter. Koh löste die Knoten und rollte die Matte auf. Von dort, wo wir saßen, wirkten die freigemachte Spielzone auf dem Zócalo unter uns und das Spielbrett vor uns gleich groß. Die Dienerinnen stiegen auf die Vorstufe unter uns und verteilten sich an den Rändern, damit niemand so hoch saß wie Koh und ich. Es sei denn, man zählte den alten Knaben in der Kiste mit.
    Alligator-Wurzel musste den Trommlern beim ersten Anblick der Flamme ein Zeichen gegeben haben, denn völlig synchron machten sie im doppelten Tempo weiter.
    »Erster Läufer auf 14 Nacht«, sagte Koh.
    Ich zog ihn. Meine Rolle bei der ganzen Sache war ziemlich mechanischer Natur: Ich sollte nur die Positionen der menschlichenSpielfiguren auf Kohs Brett übertragen und ihren nächsten Zug abwarten. »Du kannst nicht alle Fäden verfolgen«, hatte Koh einmal zu mir gesagt. »Du brauchst jemanden, der sie niederhält.«
    Alligator-Wurzel rief den Zug zum Zócalo aus. Der Läufer mit den roten Bändern am Stab ging im Kreis an seine neue Position. Die Farben kamen mir ziemlich Disney-mäßig vor, wie das Technicolor, das sie in der Baia-Szene von Drei Caballeros benutzt haben. Ungefähr einunddreißigtausendvierhundertzwanzig Menschen auf der Halbinsel, dachte ich; dann begriff ich, dass ich die Zahl erraten hatte, indem ich die Menschen in einem kleinen Teil des Zócalos gezählt und das Ergebnis multipliziert hatte –, und das hatte mich weniger als einen Schlag gekostet. Ich fühlte mich, als könnte ich die Tiere in einem Fledermausschwarm von über einer Million Exemplaren zählen, der aus einer Höhle flattert. Ja, ich könnte sogar einen Schwarm Mücken zählen, der von einem toten Wal aufsteigt, indem ich die Beine der Individuen zähle und das Ganze durch sechs teile. Nur so zum Spaß rechnete ich ein paar Integrale aus und prüfte sie. Richtig. Meine Jedman-Kräfte kehrten zurück. Ich konnte die Parabeln sehen, als wären es riesige, sich überschneidende Türme aus Legosteinen, warme Farben für gerade, kalte für ungerade und metallische für Primzahlen.

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