2012 - Tag der Prophezeiung: Roman (German Edition)
Drive-in-Schlange – ein Equinox der ersten Baureihe in Navajo-Nectarine – hatte die Seitenscheibe unten. Der Fahrer wartete wahrscheinlich auf seine Bestellung, und ich schob mich vor, bis ich ihn sehen konnte.
Sie. Eine Frau. Jung. Unscheinbar. Weiß. Dick. Vom Leben verwirrt.
Ideal.
Okay. Plan Äh.
Ich hob die Taschenlampe nach Polizistenart, sodass sie am unteren Ende der Faust herausschaute, und knipste sie an.
Ich glaube, ich habe es noch gar nicht erwähnt, aber ich habe eine ganz schön tiefe Stimme. »Polizei! Ein Notfall!«, rief ich in einem Bass, der so herrisch war, wie man es hinkriegt, wenn man gleichzeitig sein Zähneklappern zu unterdrücken versucht. Ganz kurz ließ ich meine Mitgliedskarte der Amerikanischen Malakologischen Gesellschaft aufblitzen. »Führerschein und Zulassung bitte.«
Wie Normalos es üblicherweise tun, gehorchte die Frau. Dem Führerschein zufolge war sie Miss Kristin Dekey, 24, aus Winter Haven. Nicht dass es mich interessierte, aber ich musste mir den Führerschein lange genug anschauen, dass es offiziell aussah. Als ich ihn Kristin zurückgeben wollte, wühlte sie im Fach zwischen den Sitzen nach der Zulassung. Die Frau auf dem Beifahrersitz blinzelte mich an. Sie sah Kristin ähnlich genug, dass sie ihre Zwillingsschwester hätte sein können, aber für mich sehen auch alle Cracker gleich aus, also wer weiß. »Tut mir leid«, sagte Kristin, »ich kann die Zulassung im Moment nicht finden. Aber ich habe hier eine Versicherungskarte. Reicht die Ihnen? Tut mir leid …«
Ich nahm das Stück Papier. So zu tun, als würde ich es lesen, verschlang zwanzig Sekunden, aber wenn man sich für jemand anderen ausgibt, ist es gut, wenn man sein Opfer dazu bringt, sich an die Vorstellung zu gewöhnen, dass man ist, wer zu sein man vortäuscht, ehe man etwas Ungewöhnliches von ihm verlangt. Und dazu spielt man ihm am besten Rituale vor, die ihm vertraut sind. Wenn man es richtig macht, kann man ruhig ein anderthalb Meter großer chinesischer Teenager in einem Gothlita-Kostüm sein – oder blutüberströmt wie ich, mit qualmendem Haar und holzkohlefarbenem blutigem Schorf im Gesicht. Wenn das Opfer den Vorfall dann zu Protokoll gibt, beschwört es, dass man zwei Meter groß war, in der Montur eines Polizei-Captains auftrat und aussah wie Clint Eastwood.
Ich gab ihr die Papiere zurück und nahm das größere meiner noch immer funktionsuntüchtigen Netphones heraus. »Verfolge Verdächtigen in Zivil fahr zeug weiter . Ende.« Ich wandte mich der Frau zu. »Ma’am, ich muss Sie und Ihre Beifahrerin bitten , Ihr Fahr zeug zu verlassen.« Wie Normalos es üblicherweise tun, gehorchte sie. Ihre Beifahrerin brauchte ein bisschen länger, aber schließlich stieg auch sie aus. Anstatt nach hinten zu gehen, versuchten die beiden allerdings, sich vor dem Wagen zu treffen und dort herumzustehen, als wollten sie etwas besprechen. Ich stieg ein und beugte mich über die offene Tür.
»Ma’am, bitte treten Sie zu Ihrer eigenen Sicherheit von Ihrem Fahrzeug zurück.« Sie tat es. Zu ihrem Zwilling sagte ich das Gleiche. Ihr Zwilling tat das Gleiche. Dann fiel ihr etwas ein.
»Sind Sie verletzt?«, fragte sie.
»He, sind Sie wirklich Polizist?« Kristin stellte ihre Frage zu spät. Ich stieg ganz ein, zog die Tür zu, streckte die Hand aus, knallte auch die Beifahrertür zu, drückte den Knopf, der sämtliche Türen verriegelte, legte den Gang ein und fuhr los.
Aaah, süße Freiheit! Ich …
Scheiße. Ich hatte meinen Hut im Küchenbereich liegen gelassen. Ich überlegte, ihn zu holen, sah aber ein, dass es verrückt wäre. Besorgnis überkam mich, denn allein schon, dass ich es in Erwägung gezogen hatte, ließ erkennen, dass ich nicht klar dachte.
Konzentrier dich, Jedface.
Die Auffahrt hoch. An der Abfahrt, auf der anderen Seite des Highways, wurde mein zurückgelassener Barracuda von Halogenlicht angestrahlt. Über dem Wagen ließ ein Hubschrauber einen zweiten Lichtstrahl in einer sich weitenden Spirale kreisen. Ha, dachte ich. Sie sind weit hinter mir. Sehr weit.
Auf die 400. Vorwärts. Hoch. Ad astra per atrocitas . Ich verstellte Sitz und Lenkrad, damit sie auch für Nichtschweine bequem waren. Der Highway wurde gerade und leitete den Equinox zu dem schmutzig-orangefarbenen Leuchten über der No-Go-Zone. Meine Hände zitterten noch immer, meine Zähne klapperten, und ich war müde und fühlte mich schwindlig, aber ich war noch nicht in einem Schockzustand, und wenn ich die
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