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2.02 Der fluesternde Riese

2.02 Der fluesternde Riese

Titel: 2.02 Der fluesternde Riese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Masannek
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begann mich zu schütteln, doch ich blieb ganz cool. Ich hab’s doch gesagt. Ich konnte nicht anders. Selbst beim Spielstand von null zu zehn kämpfte ich noch.
    „Ich verstehe euch nicht. Was habt ihr denn alle? Drei Euro pro Mann. Das ist gar nicht schlecht. Das sind 21 die Stunde und das Ganze mal vier. Denn vier Stunden dürfen wir jeden Tag arbeiten. Das sind 84 am Tag. 588 bis Ostern, und das müsste doch wohl für die Trikots reichen. Wenn wir gebrauchte Helme kaufen und ich die Logos selber male.“
    Da machte es ‚Klack!’. Leon fiel das Kinn auf die Brust, und die Münder der Kerle standen bereits sperrangelweit offen.
    „Ja, das meine ich ernst!“, nahm ich ihre Fragen vorweg und unterdrückte die Flüche, die ich hinter den Augen von Leon und Nerv in einer Hurrican-Twister-Windwirbelsäule herumschwirren sah, im Keim. „Ich meine das so ernst, wie ich es ernst gemeint habe, als ich Willi aus dem Teufelstopf warf. Ja-mahn, oder als wir in Unterhosen gegen den SV 1906 gespielt und dann auch noch gewonnen haben. 33 Ich frage euch also: Was können uns Osterhasen da noch anhaben?“
    „Und was ist mit Camelot und dem Stadion?“, fragte Nerv skeptisch.
    „Die bauen wir auch. Eins nach dem anderen. Sobald einer den Job findet, den wir dafür brauchen.“
    Ich schaute in Leons offenen Mund.
    „Ostern ist nämlich in einer Woche vorbei. Aber vielleicht braucht dann jemand einen Fisch, der mit japsendem Mund Lippenstifte an Omas verkauft.“
    Ich grinste ihn an. Das war meine Rache für seine Morddrohung.
    „Und bis Leon das macht, bis er als Karpfen durch die Straßen tanzt, machen wir es so wie Willi. Wir zelten. Wir zelten auf der Insel unter dem Flüsternden Riesen und trainieren auf der Wiese am Fluss. Erinnert ihr euch? Da, wo Willi mit uns trainiert hat, als es gegen den Dicken Michi 34 ging.“
    Ich sprang auf mein Rad und fuhr Richtung Hügel.
    „Jetzt kommt schon!“, rief ich, und obwohl ich mich dieses Mal schon wieder nicht umdrehte, spürte ich doch, dass mir alle folgten. Ich spürte Leons düsteren Blick. Er verwünschte mich schweigend. Ich spürte den Vorwurf, den Raban mir nachwarf, die Angst von Juli „Huckleberry“ Fort Knox, Nervs Skepsis, obwohl er mir glauben wollte, die Zweifel von Maxi und wie es sich in ein Grinsen verwandelte, als er Markus’ Lachen sah. Ja, der Unbezwingbare lachte als Erster. Das Blei fiel von seinen Beinen, als er sein Bäckerrad-Seifenkisten-Flaggschiff mit Maxi im Bug den Hügel hinauftrieb, als ging es bergab.
    „Jetzt kommt schon!“, rief er, denn er hatte verstanden: Wir waren auf dem richtigen Weg. Ein Weg, der sehr lang war und voller Gefahren. Doch das war’s, worauf es am Ende ankam. Gerade die Gefahren machten ihn zum richtigen Weg.

SO WILD WIE NOCH NIE
    „Ha! Wild und gefährlich!“, lachte mein Bruder und schenkte mir einen tödlichen Blick. Wir standen im Aufzug des Kaufhauses und fuhren vom obersten Stockwerk hinab in die Welt, die für Leon und uns jetzt die Hölle war.
    Der Grund dafür war unser Outfit. Wir steckten in rosa Osterhasenkostümen mit einem Wattebauschbommel am Po und einer Walnuss auf der Nase. Ja, wider Erwarten blieben unsere Gesichter von den Ganzkörperkostümen verschont, und jeder, der uns begegnen würde, würde uns auf der Stelle erkennen.
    „Hey, schau doch, da läuft das Rabanhäschen!“, verspritzte Leon weiter Gift. „Und das da ist Markus, das Kaninchen. Komm, hops doch mal für uns herum!“
    Er kochte vor Wut. Doch ich nahm ihn nicht wahr. Ich starrte seit fünf Minuten nur auf die Bürste: die giftgrüne Klobürste, die wir bewerben sollten:
    ‚Ein Klo ist blitzblank.
    Dafür brauchst du die Bürste.
    Die Bürste. Die Bürste.
    Sonst wirst du noch krank!’
    Das war der angeblich so „geniale“ Text, den wir singen sollten, während wir mit diesen Bürsten durch das Kaufhaus und die Fußgängerzone tanzen mussten. Und das war noch schlimmer als der Quackel. Das musste ich ändern. Doch ich wusste nicht wie. Ich sah, wie die Stockwerke hinter uns blieben: 11,10, 8, 5. Verfuchst, war das schnell, und als sich die Türen im Erdgeschoss öffneten, starrten wir alle in Vanessas Gesicht.
    „Oh, Fliege in Honig!“, dachte ich noch, und dann konnte sich keiner von uns mehr bewegen. Wir waren versteinert, vereist, gelähmt. Wir hatten einen Schlaganfall oder noch schlimmer: Wir lagen im Koma, und ich sah dabei, wie das Grinsen in Vanessas Augen entstand. Es sprang aus den Augen auf ihre Wangen und

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