203 - Die Wüstenfalle
verwandelte sich aber sofort wieder in eine nackte Frau, in eine schwarzhaarige diesmal. In den bärtigen Mienen der Wüstenkrieger, die noch nicht vom Teichufer geflohen waren, spiegelten sich Schrecken, Entzücken und Empörung zugleich.
Sie wichen zurück, drehten sich um und rannten unter den Dattelbäumen hinweg zu ihren Kampfgefährten am Rande der Oase.
Hinter sich hörte Aruula den schwarzen Prinzen nach seiner Zwergfledermaus rufen. »Titana, her zu mir!«, und immer wieder: »Titana, her zu Victorius!«
Die Frau von den dreizehn Inseln fuhr herum. Victorius schaute suchend zum Fenster hinaus. Aus dem dünnen Kaminrohr an der Gondelseite stiegen kleine Dampfwölkchen.
Jetzt erst wurde ihr wirklich bewusst, dass der Afraner die Dampfmaschine nicht ausgestellt hatte. Die PARIS war praktisch startbereit!
»Kommen Sie, Mademoiselle Aruula«, rief Victorius.
»Schnell, kommen Sie!« Aruula lief zur Gondel und sprang durch die offene Luke hinein.
Die Büchse in den Händen, stand Victorius am Fenster und hielt nach Titana Ausschau. »Sie müssen jetzt hier bleiben, Mademoiselle Aruula, unbedingt«, flüsterte er. »Sobald Titana zurück ist, starten wir! Dann sind wir sie los, die beiden Kretins! So eine Gelegenheit kommt so schnell nicht wieder!«
Zwei Atemzüge lang blickten sie einander in die Augen. »Ich kann nicht, Victorius«, sagte Aruula heiser. »Versteh doch bitte…!« Sie drehte sich um und drückte einen Hebel an den Armaturen nach unten. Eine Vibration lief durch den Luftschiffrumpf, draußen zischten die Ventile, als der Dampfdruck entwich, dann standen die Dampfkolben still.
»Mon Dieu!« Victorius kam zu ihr und packte sie bei den Schultern. »Was tun Sie denn da, Mademoiselle? Nicht doch!«
»Ich kann meinen Sohn nicht zurücklassen!« Aruula schüttelte seinen Arm ab und sprang aus der Gondel. Sie blickte zum Teichufer. Dort, wo eben noch eine verführerische schwarze Schönheit gestanden hatte, spreizte jetzt ein grauer Vogel mit gekrümmtem Schnabel und stechenden gelben Augen die Schwingen. Vier oder fünf Säbel lagen neben ihm im Ufergras.
Die Wüstenkrieger beobachteten ihn von fern.
Einer der Kamelreiter trieb sein Tier am Rande der Oase vor den Reihen der geflüchteten Kämpfer auf und ab. Er gestikulierte, schrie und deutete immer wieder zum Luftschiff.
Offenbar versuchte er seine Männer zurück in den Kampf zu schicken.
»Wir haben sie verjagt!« Daa’tan trat näher zu Grao’sil’aana.
»Du kannst jetzt aufhören mit der Vorstellung, Grao. Die Kerle ziehen sich zurück!«
Der Greif schüttelte das Gefieder und verwandelte sich Stück für Stück in eine Echse.
Daa’tan blickte sich um. Sieben oder acht Wüstenkrieger lagen tot oder verwundet im Gras. »Denen haben wir gründlich erklärt, wer wir sind! Die haben ein für alle Mal genug! Ich musste nicht einmal meine Pflanzenkraft einsetzen. Ich dachte mir, die Kerle brauchen nicht gleich von allen meinen Fähigkeiten zu wissen. Und jetzt schnappen wir uns die Datteln und hauen ab, würde ich sagen…«
Er verstummte, weil statt Grao’sil’aanas Echsengestalt ein kleines Kamshaa mit zwei bebenden Höckern am Teichufer stand. »Warum hörst du nicht auf, Grao?« Auf einmal bekam Daa’tans Stimme einen furchtsamen Unterton. »Lass doch das endlich…!«
Aruula hatte sich abgewandt und die Augen geschlossen. Sie lauschte. Deutlich spürte sie den fremden Geist. Oder waren es gar mehrere Wesen, die irgendwo hier in der Oase dachten und fühlten? Oder war etwa der fremde Geist so mächtig, dass er sich anfühlte wie die Bewusstseine mehrerer denkender Lebewesen?
Wie auch immer – Aruula spürte Neugier und Triumph. Und sie erkannte Bilder von Kamshaas, von nackten Frauen und von wiehernden Huftieren mit langen Schädelmähnen.
»Die Kerle kommen zurück«, hörte sie ihren Sohn sagen. Als sie sich umschaute, sah sie, dass er Recht hatte: Schwerter und Lanzen drohend erhoben, schritten die Wüstenkrieger langsam an den Dattelstämmen vorbei auf das Teichufer zu.
»Sie haben begriffen, dass Grao’sil’aana die Kontrolle über sich verloren hat«, sagte Aruula.
»Was redest du da?« Daa’tans ungläubiger Blick flog zwischen seiner Mutter und seinem Mentor hin und her.
Grao’sil’aana kniete im Ufergras. Er hatte nun wieder die Gestalt eines Daa’muren, wirkte aber sehr erschöpft. Etwas Braunes schwirrte vor ihm zwischen den Grashalmen. »Die Fähigkeit, meine Gestalt zu ändern, hatte sich meinem
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