2030 - Chimaerenblut
lockigem Kunstfell. Den Katzenschwanz verbarg sie unter einem wadenlangen Strick-Mantel. Sie hatte sich als Hunde-Chimäre verkleidet.
»Warum die Aufmachung? Wegen der Party?«
»Warum dein Schweigen?« Olga blies eine Rauchwolke aus. »Leon, die Drecksfabrik ist Asche. So etwas passiert nicht von alleine, schon gar nicht nach einem Einbruch. Was verschweigst du uns?«
Er verkrampfte sich innerlich. Mit diesen scharfen Worten hatte er nicht gerechnet. Nicht jetzt.
»Ich kann es dir nicht sagen«, wich er aus. Er blickte sich kurz um und sprach dann leise weiter. »Es ist für alle das Beste, wenn ihr euch wie besprochen der Gruppe Nord anschließt und die illegalen Viehtransporte der Handelskette Tasty verfolgt. Ihr könnt hier nichts mehr ausrichten. Das, was ich jetzt noch tun muss, ist etwas Persönliches zwischen Wilmershofen und mir. Ich will euch da nicht mit reinziehen.«
Olga drückte die Glut ihrer Zigarette an der Mauer aus. »Wir stecken schon mit drin, falls du das noch nicht mitbekommen hast. Aber wie du willst. Deine Entscheidung. Dann lasse ich morgen die Hühner wieder frei. Was sollen wir noch damit?« Ihr Gesicht verriet Enttäuschung.
»Versteh doch, wir kriegen Wilmershofen nicht mal wegen Tierquälerei dran. Glaube mir Olga. Es ist vorbei.«
Sein NanoC blinkte erneut. Er wurde im Chimären-Treff erwartet. »Ich muss…« Er zupfte zum Abschied am Schirm ihrer Mütze. »Niedliche Ohren. Ich habe dich von weitem für eine Hunde-Chimäre gehalten.«
Sie nickte ernst. »Leon, viel Glück für das, was du vorhast. Was auch immer es ist.«
Drinnen spielte die Band den Mammal -Song. Die Gäste vor der Bühne grölten lauthals mit. Der Sänger hatte sich inzwischen nackt ausgezogen und kroch auf allen Vieren. Unter wilden Anfeuerungsrufen bewegte er sein Becken wie ein rammelndes Karnickel.
Leon suchte den Raum nach jemandem ab, der sich nicht für das Spektakel auf der Bühne interessierte. Jemand, der aussah wie Kevin. Ein Mann trat aus dem Schatten des hinteren Raumes hervor. War er das? Klein, schlank, hageres Gesicht, große Nase. Auf dem Bild, das ihm Mikael vor zwei Stunden geschickt hatte, wirkte er jünger.
Der Mann stellte sich neben ihn und blickte zur Band. »Ich bin es. Kevin! Wir sollten hier verschwinden. Ich wurde verfolgt. Aber keine Sorge, ich konnte das Auto abhängen.«
Leon betrachtete sein scharf geschnittenes Profil. Er schätzte ihn auf Anfang dreißig. Für Chimären typische Veränderungen konnte er auf Anhieb nicht erkennen.
Keine somatische Mutation, dachte er.
Kevins Haar war kurz geschnitten. Er trug eine abgewetzte braune Cordjacke und einen dieser Prepaid-Billig- NanoCs am Handgelenk, die nur funktionierten, wenn man pro Nachricht eine Werbeanzeige akzeptierte. Ketten-Spam, den man einzeln wegdrücken musste.
Leon wollte ungern mit ihm über den Hinterhof schleichen. Olga könnte dort noch stehen. Er wollte nicht das Risiko eingehen, dass sich die beiden in die Arme liefen. Es gab keinen Grund, warum Olga seinen neuen Kontaktmann hätte sehen sollen. Und umgekehrt gab es keinen Grund, warum irgendjemand etwas von ihr und den anderen hätte erfahren sollen.
»Können wir vorne raus? Hinten stehen Leute, die mich kennen.«
Kevin nickte. Das Publikum tobte erneut. Der Gitarrist verspeiste einen Wurm.
»Schrille Performance.« Kevin grinste.
Leon verkniff sich einen Kommentar. Er dachte an die Spinnen im Glas und war froh aus dem Laden zu kommen.
Auf der Straße schaute er prüfend nach rechts und links. Kein verdächtiges Auto. Niemand von seinen Leuten wusste von dem heutigen Treffen mit Kevin, warum war er verfolgt worden? Den Kontakt hatte Mikael hergestellt. Ein vertrauenswürdiger Aktivist, der seit drei Jahren für Tier- und Chimärenrechte kämpfte und Verbindungen zu weltweit agierenden Gruppen hatte. Leon bedauerte, dass Mikael kurzfristig abgesagt hatte. Andererseits war es vielleicht besser so. Er wollte Mikael nicht in die Sache mit reinziehen. Jetzt war Osteuropa dran. Nicht Mikaels Spezialgebiet.
Sie zogen zwei Straßen weiter in eine Kneipe und drückten sich in die hintere Ecke. Zunächst sprachen sie über Berlin, was man sich anschauen und welche Plätze man unbedingt meiden sollte. Dann stellte Kevin Fragen. Er wollte wissen, was Leons Aktivistengruppe in letzter Zeit auf die Beine gestellt hatte und vor allem, warum er den Kontakt zu ihm suchte.
Jetzt kam der schwierigste Teil. Leon rang mit sich, wie viel er preisgeben sollte
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