2030 - Chimaerenblut
grauen Haaren. »Die Wahrheit ist doch, dass sich die Pharmaunternehmen eine goldene Nase an den Impfstoffen verdient haben. Vor der Grippewelle haben sie ihre Aktivimpfung weltweit verkauft und währenddessen die Passivimpfungen. Fast jeder Zweite ließ sich die monoklonalen Antikörper spritzen. Und jetzt verdienen die Unternehmen weiter mit neuen Medikamenten und Heilmitteln. Auf Jahre ist da der Markt gesichert. Da ist so eine Stiftung doch nur ein Almosen.«
»Wenn wir nicht geimpft hätten, wären noch mehr Menschen gestorben…«
Leon schaltete ab. Diese aalglatten Politiker und Unternehmer waren der Grund, warum er angefangen hatte Politik zu studieren. Inzwischen musste er jedoch schmerzlich erkennen, dass die Wirtschaftsmächtigen die Politik bestimmten, nicht umgekehrt. Er hatte genug gesehen. Sein Politikstudium war doch für den Arsch. Lediglich die Arbeit bei den Aktivisten machte noch Sinn.
Leon rammte das Steakmesser in die kalte Pizza. Wilmershofen würde er ans Messer liefern. Und wenn er sein ganzes Leben hinter ihm hinterherjagen müsste.
Dass er als Pferde-Chimäre selbst Opfer war und keine Entschädigung bekam, störte ihn wenig. Er konnte aus dem Stand fast zwei Meter hoch springen und die 42,195 Kilometer eines Marathons in zwei Stunden laufen. Sein Kopf würde vermutlich nie kahl werden, und seine dichten langen Haare wuchsen den Nacken hinunter.
Leon fasste sich an den Hals und fühlte eine seitliche Verdickung. Geschwollene Lymphknoten? Hatte er sich doch bei Wilmershofen angesteckt? Konnte das Virus auch auf den Menschen überspringen?
Er ging zum Spiegel. An beiden Halsseiten waren Verdickungen. Was hatte Josi über ihre Kiemen erzählt? Erst waren es rechts und links Knoten? Fing es so an? Kiemen?
Ihm schwindelte. Wenn er sich infiziert hatte, dann lief ihm jetzt die Zeit davon. Er dachte an den Bericht von Daniela. Diese Chimären-Bildung würde viel schneller ablaufen als bei der Großen Influenza . Das Virus dockte am Adrenalin an. Es war aggressiv.
Was war er jetzt? Der Boden schwankte unter seinen Füßen. Er war die erste Triple-Chimäre. Pferd-Fisch-Mensch. Hektisch begann er auf- und abzugehen. Er musste seinen Adrenalin-Spiegel senken. Gab es Medikamente dagegen? Konnte er die besorgen? Wie viel Zeit blieb ihm noch?
Unschlüssig schaute Leon auf die Uhr. Seine Hausärztin war nicht mehr zu erreichen. Sollte er in die Notaufnahme gehen? Dann würden sie unbequeme Fragen stellen und ihn vermutlich sofort in Quarantäne stecken. Aber er war ja nicht ansteckend, nur über Blutkontakt und hochvirale eitrige Körperflüssigkeiten.
Verdammter Maschendrahtzaun. Musste ich mir die Hand dort aufreißen.
Leon zwang sich zur Ruhe. Josi hatte schließlich auch Halsfisteln. Vielleicht blieb es bei ihm bei den Kiemen. Er musste auf sein Glück hoffen. Oder sollte er Daniela erneut um einen Gefallen bitten und sein Blut untersuchen lassen? Aber was könnte sie schon herausfinden, was er nicht bereits wusste. Lediglich welchen Fisch er sich gefangen hatte. Aber das war jetzt auch egal. Fisch war Fisch. Und dieser Fisch musste jetzt dringend an die frische Luft. Er griff sein Mountainbike und dachte bestürzt: Fisch mit Fahrrad.
20
Nachts:
Die halbe Nacht war er mit dem Bike unterwegs gewesen. Erst durch die Stadt, dann bis raus zum Wannsee und wieder zurück. Einen Moment war Leon versucht zum Friedhof zu fahren. Erschöpft hielt er an und lehnte über dem Lenker. Scheinwerfer eines Autos tasteten sich in die Straße. Mit geducktem Kopf sprang er auf sein Bike und fuhr davon.
In der Kleinen Mondstraße parkte ein fremdes Auto vor Leons Haus. Ein ungutes Gefühl beschlich ihn. Litt er jetzt auch noch unter Verfolgungswahn? Er entschied kein Risiko einzugehen und wendete. Von der Großen Mondstraße bog eine Nebenstraße ab, die einen Zugang zum Hinterhof seines Hauses hatte. Er schob das Bike unter einen Busch und blickte zu seinem Küchenfenster hoch. Einen Moment huschte dort der Strahl einer Taschenlampe hinter dem Vorhang vorbei. Seine Ahnung war richtig gewesen. Auf Zehenspitzen schlich er in den Keller, schlüpfte ins Treppenhaus und lauschte angespannt auf Geräusche im Flur.
Über ihm öffnete sich die Wohnungstür. Blitzschnell duckte er sich unter der Kellertreppe. Zwei schwarz gekleidete Männer mit ins Gesicht geschobenen Schirmmützen kamen heraus. Die Einbrecher hatten einen kleinen Rucksack dabei. Gewöhnliche Diebe? Zufall? Leon wartete, bis die Männer das
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