2030 - Chimaerenblut
Han Müller ein: »Ohne die Medikamente wären noch mehr Menschen gestorben.«
Eine halbe Stunde später kamen erneut die Tagesnachrichten. Wieder nur Sportergebnisse einer Handvoll genetisch unveränderter Menschen, Promiskandale und der Hinweis, dass der Entscheid im Laufe des Tages erwartet würde. Dann zeigte der Sender Demonstrationen in europäischen Städten, auch in Berlin, und natürlich vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg.
Kein Hinweis zu Wilmershofen . Enttäuscht schaltete Leon die Nachrichtensender aus und aufs SWeb um. Er hatte den Newsletter von FlashAC abonniert und fand die News in seinem Postfach. Eine unabhängige Internetredaktion berichtete eine Stunde später. Das war alles.
Als die Nachrichtensender am späten Abend endlich den Entscheid verkündeten, sank seine Laune auf den Nullpunkt. Die illegalen Versuche von Wilmershofen waren lediglich eine nicht bestätigte Randnotiz im Internet, und die Schadensersatzansprüche der Chimären-Opfer waren endgültig niedergeschmettert.
Wütend lauschte Leon der Begründung, während seine Pizza kalt wurde. Es hieß, die Pharmafirmen Medigood World und Medigood Europe, die das Medikament hergestellt hatten, hätten mit den Nebenwirkungen nicht rechnen können. Die Richter kamen zu der Auffassung, niemand habe fahrlässig gehandelt.
Leon schaltete mitten in eine Talkrunde rein. Der Pressesprecher des Pharmaunternehmens, ein glatt rasierter Mann mit verhaltenem Lächeln hob bedauernd die Arme. »Angesichts der millionenfachen Toten durch die Grippewelle, war schnelles Handeln gefordert. Wir konnten keine monatelangen Labortests machen. Wir mussten Menschenleben retten. Jedem war klar, dass es sich bei der Passivimpfung um ein neues Medikament handelte, dessen mögliche Nebenwirkungen unbekannt waren.«
Die Moderatorin wollte das Mikrofon weiterreichen, aber der Sprecher zog es zurück. »Außerdem hätte sich jeder rechtzeitig vorher impfen lassen können. Dann hätte er das Virus gar nicht erst bekommen.«
Der Vertreter der Chimären-Partei, eine Hunde-Chimäre, schüttelte energisch den Kopf. Der junge Mann hatte einen krummem Rücken und ein zur Schnauze verzogenes Gesicht mit Dreitagebart. »Es gibt aber Hinweise, das Virus soll in Ihren Labors erzeugt worden sein, quasi um die Passivimpfung zu verkaufen. Es ging Ihnen doch nur um die Gewinne. Das Virus war synthetisch, also nicht natürlichen Ursprungs. Sie haben die Verantwortung!« Die letzten Worte hatte er in seiner Wut geschrien.
Der Pressesprecher hob beschwichtigend die Arme. »Wir haben das Virus nicht hergestellt. Gegen solche Verleumdungen haben wir eine Unterlassungsklage geführt und gewonnen. Das wissen Sie doch.«
Das Publikum im Hintergrund buhte.
Die Moderatorin versuchte Ruhe in die Diskussion zu bringen und gab das Wort an einen Juristen. »Wie ist denn das Urteil genau zu interpretieren? Die Herkunft des Virus stand doch überhaupt nicht zur Diskussion oder?«
»Da haben Sie ganz recht.« Der Jurist, ein älterer Herr mit grauem Spitzbart, sprach bedächtig und legte die Fingerspitzen gegeneinander. »Es ging lediglich um die Nebenwirkungen des Medikaments. Bei den Impfungen sei es um lebensrettende Maßnahmen gegangen, hieß es in der Urteilsbegründung. Niemand hätte ahnen können, dass Monate, ach Jahre später, diese Chimären-Bildungen auftreten. So hat es der Europäische Gerichtshof gesehen. Wörtlich heißt es in der Begründung, wer als Chimäre überlebt hat, der hat überlebt. Nur das zähle. Der Erhalt des Lebens stand an erster Stelle. Daraus ergeben sich keine Ansprüche auf Schadensersatz.«
Der Pressesprecher nickte. »Das wäre auch das falsche Signal. Es geht schließlich jetzt darum, Mittel und Medikamente zu finden, um die Chimären-Bildung wieder rückgängig zu machen. Die Hoffnung der betroffenen Menschen richtet sich auf die Medikamente von morgen. Ein Recht auf Schadensersatz wäre das Aus für die forschenden Pharmaunternehmen.«
Der Mann mit dem Hundegesicht fletschte die Zähne, als wollte er dem Pressesprecher gleich an die Gurgel gehen.
Entsetzt wich der Pressesprecher zurück. »Wir haben uns unabhängig davon entschieden, eine Sozialstiftung für die Opfer zu gründen und Härtefälle zu unterstützen. Unser ganzes Mitgefühl gilt den Betroffenen. Aber wir sehen unsere Aufgaben auch in der Zukunft. Wir müssen nach vorne schauen.«
Die Moderatorin unterbrach ihn und gab das Wort an eine Ökonomin, eine Frau mit kurzen,
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