2030 - Chimaerenblut
Scheinen vor ihrem Gesicht. »Was ist nun, willst du die Kohle oder nicht?«
»Das Doppelte. Ich verlange das Doppelte.«
Leon legte einen weiteren Schein drauf und hielt ihr Dreißig hin.
»Gib her. Ist ja nicht mein Problem.«
Sie band den Hund an, nahm ihren zerrissenen Rucksack mit ihren Habseligkeiten und trottete los. Zehn Minuten später war sie zurück.
»Hier.« Sie hielt ihm die Tüte mit der Farbe hin. »Restliche Kohle her.«
Leon gab ihr das Geld und bedankte sich.
Meine Schwester wäre jetzt in ihrem Alter , dachte er.
Suchend fasste er erneut in die Hosentasche und gab ihr einen weiteren Schein.
Sie schaute ihn verblüfft an. »Danke.«
Eine Stunde später hatte Leon sich im Waschraum einer Kneipe die Haare mit einer Nagelschere kurz geschnitten, die Mähne im Nacken ausrasiert und die Haare mit der Blondierungscreme bearbeitet. Sie waren nicht blond geworden, nur rotbraun gescheckt. Aber das reichte ihm. Vom Poster an der Tür entfernte er ein Stück doppelseitiges Klebeband und klebte sich aus den abgeschnittenen Haaren einen Kinnbart an.
Einem Straßenhändler kaufte er eine Nickelbrille und eine auffällige, bunte Jacke ab, die er mit der Schere solange bearbeitete, bis sie abgerissen und ausgefranst aussah. Niemand würde davon ausgehen, dass sich ein gesuchter Mörder wie ein Retro-Hippie kleidete.
Um seine Tarnung perfekt zu machen, kaufte er sich auf einem Flohmarkt am Volkspark Hasenheide eine abgegriffene Gitarre. Mechanisch strich er über die Saiten. Vor langer Zeit hatte er mit seiner Schwester Johanna gesungen und dazu Gitarre gespielt. Noch immer konnte er ihr helles Kinderlachen hören.
Tränen stiegen in seine Augen, als er die Gitarre am Rucksack festband. Dann gab er sich einen Ruck, er musste jetzt einen guten Platz zum Untertauchen suchen.
23
Mittags:
Die Kostümierung machte ihn in den Augen der meisten Menschen unsichtbar. Niemand interessierte sich für einen Straßenmusiker mit scheckigen Haaren und Lumpenjacke. Die Menschen sahen an ihm vorbei.
Er kaufte einen Prepaid- NanoC und fuhr zum Ostbahnhof. Dort stieg er in einen ICE, der auf dem Weg nach Madrid war, schaltete seinen alten NanoC stumm und warf ihn in den Mülleimer. Am Hauptbahnhof stieg er wieder aus. Sollte die Polizei seine Spuren verfolgen, dann wäre sie vorerst eine Weile beschäftigt.
An einem Kiosk versorgte Leon sich mit Lebensmitteln: Kekse, Studentenfutter, Müsli-Riegel. Dann fuhr er in einen belebten Park, ließ sein Bike auf die Wiese fallen, hockte sich ins Gras und loggte sich über den neuen NanoC auf den Server. Er lud seine Adressenlisten runter und grübelte. Sollte er Kevin anrufen? Irgendwie war der Kerl mysteriös. Hatte er etwas übersehen? Konnte Kevin ein Verräter sein? Energisch schüttelte Leon den Kopf. Er konnte sich auf Mikaels Kontakte verlassen. Mikael war vertrauenswürdig. Und Kevin?
Der Park füllte sich mit jungen Menschen. Natürlich, es war Wochenende, das Wetter war bestens, halb Berlin schien auf den Beinen zu sein. Leon hielt eine Hand vor den Mund, so dass niemand mithören konnte. Zuerst wählte er den Aktivisten an. Mikael war sofort in der Leitung.
»Leon hier.«
»Hey, wie kann ich dir helfen?« Mikael schien über den Mord bereits im Bilde.
»Was weißt du über Kevin?«
»Ich kenne ihn nicht näher. Eine Empfehlung von Wladimir Wazik , ein guter Freund von mir. Soll ich dir seine Nummer geben?«
Leon gab Waziks Verbindung in den Zwischenspeicher, bedankte sich und rief den Aktivisten an. Wie sich herausstellte, war Wazik ebenfalls in Berlin. Doch er wusste nicht viel über Kevin, nur dass seine Gruppe sich bereits vor über einem Jahr seiner Bewegung angeschlossen hatte, um die Geflügelfabrikanten im Auge zu behalten, bisher aber an keiner Aktion teilgenommen hatte.
»Drei Leute, die nicht gerade Bäume ausreißen können. Wir haben sie machen lassen. Um die Geflügelfabrik in Warschau hätte sich sowieso keiner von uns gekümmert. Unser Ziel sind die vom Aussterben bedrohten Arten. Wie die Tiere aus dem Zoo, die nach Russland verkauft werden sollen.«
»Ja, ich habe davon gehört. Wann geht es bei euch los?«
»Ab Morgen werden wir uns am Zoo anketten.«
Sah er Gespenster? Wenn Kevin schon vor über einem Jahr zu der Gruppe gestoßen war, dann konnte es nichts mit Wilmershofen zu tun haben. Kevin war nicht derjenige, der ihm den Mord in die Schuhe schieben wollte. Im Gegenteil, Kevin war jetzt sein Lift nach Warschau. Er war auf
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