2030 - Chimaerenblut
untergejubelt. Oder es waren Spuren in einer Fertigsuppe. Meist genügte das ja für eine Ansteckung. Trotzdem habe ich noch Glück gehabt, denn ich habe es überlebt.
»Du denkst an die vielen Insekten-Chimären, die bei der Verwandlung gestorben sind?«
»Ja, auch.« Josi schluckte. »Und wie hast du dich angesteckt?«
»Ich habe als Kind einen herrenlosen Wasserhund aufgenommen. Wusstest du, dass Barak Obama die Tiere auch mochte? Stell dir vor, die Kinder hatten einen Hund im Weißen Haus. Der arme Bodyguard, der die Häufchen vom lupenreinen Rasen aufsammeln musste. Wasserhunde sind kinderlieb, verspielt, gutmütig, haaren nicht und lieben das Wasser.« Lenka seufzte. »Meiner hat noch fünf Jahre gelebt, lange genug, um sich bei der Großen Influenza mit seinen Genen bei mir zu bedanken.«
»Und Annak ?«
»Hm. Ich schätze, es war einer der Schlittenhunde. Seine Eltern züchteten Huskys und haben Rennen ausgerichtet.«
»Verstehe.«
»Und deine Freundin?«
Lenka und Josi blickten zu der schlafenden Kathi, die zusammengerollt wie eine Raupe auf der Decke lag. Der Schmetterling hatte sich auf ihrer Schulter niedergelassen und ließ sie zerbrechlich aussehen.
»Eine Hauskatze«, antwortete Josi und dachte daran, dass Kathis Mutter das Tier hatte einschläfern lassen. Laut sagte sie: »Die sind in Deutschland weit verbreitet.«
»Ja, die gibt es überall.«
So wie Lenka es sagte, klang es in Josis Ohren, als meinte sie, »nichts Besonderes«. Doch Josi hätte lieber die Gene einer Hauskatze als die eines Haies.
Plötzlich blickte Lenka auf die Uhr. »Wir müssen, sonst kommt Annak zu spät zur Arbeit.« Sie erhob sich, schob zwei Finger zwischen die Zähne und pfiff, um Annak zu rufen.
Oben auf dem Lake Shore Drive parkte in einer Haltebucht Ethan. Josi fragte sich, wie lange schon. »Ethan ist auch schon da«, sagte sie stirnrunzelnd.
»Sieht schick aus, der Goldjunge.«
»Ist mir egal.«
»Der hat bestimmt an jedem Finger eine.«
»Was will er dann noch von mir?«
»Das kann ich dir sagen.«
»Ich bin gespannt.«
»Du bist die Erste, die nicht gleich mit ihm ins Bett will. Jemand, der alles haben kann, wundert sich bestimmt, warum diese eine ihn nicht will.«
Josi griff sich ans Halstuch. »Gut, dass du mich gewarnt hast. Bei meinem Glück mit Männern wird wohl das der Grund sein.«
Kathi schlug die Augen auf und dehnte sich. »Müssen wir schon aufbrechen?«
Josi umarmte Lenka, dann zog sie Kathi in die Arme. »Du bist doch Samstag auch dabei?«
Kathis grüne Augen blitzen auf. »Miau. Es wird Zeit, uns was zum Kuscheln zu suchen.«
Ethan stieg aus dem Wagen, öffnete die Beifahrertür für Josi und wartete.
Lenka zog Josi zu sich heran. »Das hat Annak nicht mal gemacht, als er frisch in mich verliebt war«, flüsterte sie. Mit der Zunge deutete sie ein Hecheln an. »Der ist scharf auf dich. Jede Wette.«
Er weiß doch überhaupt nichts über mich , dachte Josi. Er hat nicht einmal bemerkt, dass ich eine Chimäre bin. Unwillkürlich griff sie sich an den Hals und bemerkte, dass sie es schon die ganze Zeit tat.
Ich werde wohl krank.
19
Freitag, 17. Mai, Berlin-Neukölln:
Leon nahm die Kaffeetasse und setzte sich vor die Fernsehwand. Der Entscheid des Europäischen Gerichtshofs zu den Schadensersatzansprüchen der Chimären wurde am Nachmittag erwartet. Die Sender berichteten im Halbstundentakt über die Katastrophe vor sieben Jahren. Die Mehrheit vermutete, dass die Opfer leer ausgehen würden.
Leon hoffte jedoch auf andere Nachrichten. Wilmershofen ging ihm nicht aus dem Kopf. Leon hatte den Bericht über die Virenanalyse an FlashAC geschickt. Jetzt wollte er wissen, ob die Neuigkeit die Nachrichtensender erreicht hatte.
Er wurde enttäuscht. Die Morgennachrichten brachten nichts über den Unternehmer. Missmutig lauschte Leon einem Report. Es ging um die Haltung der Politik im Chimären-Skandal. Sie brachten eine fünf Jahre alte Einspielung von Gesundheitsminister Han Müller. »Neugeborene mit zusammengewachsenen Beinen, übermäßiger Haarwuchs am ganzen Körper, Halsfisteln mit Kiemenanlagen, solche genetischen Fehlbildungen hat es schon immer gegeben. Kein Grund zur Besorgnis!« So einfach hatte der Gesundheitsminister die beunruhigten Bürger damals abgespeist. Über all die Jahre hatte er zur Pharmaindustrie gehalten. Auch nachdem klar war, dass die Passivimpfung der Auslöser war. Lediglich seine Argumente änderte er. Der Sender spielte ein weiteres Zitat von
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