2030 - Chimaerenblut
sowieso schon eifersüchtig auf dich«, platzte sie heraus.
»Dafür gibt es keinen Grund.«
»Natürlich nicht. Aber ich lass meine Freunde auch nicht im Stich.« Sie drückte ihm die Sachen in die Hand. »Mach’s gut Leon.«
»Danke Olga. Das werde ich dir nie vergessen.«
»Ich war nie hier. Und vor allem will ich auch nicht wissen, was du als nächstes vorhast.«
Die Tür fiel ins Schloss. Eine echte Freundin. Olga hatte nicht einen Moment erwogen, dass er der Täter sein könnte.
Mit klammen Händen wickelte Leon sich in den Schlafsack. Tiefe Traurigkeit befiel ihn und das Gefühl, dass hier alles vorbei war. Ob er Olga und die anderen jemals wiedersehen würde?
Bevor er einschlief, überdachte er seine nächsten Schritte in Warschau. Wilmershofen musste sich in gefährlichen Kreisen bewegt haben. Irgendwem musste er gehörig auf die Füße getreten sein. Oder war er als Zeuge zu gefährlich geworden? Die Tiere konnte er nicht alleine gezüchtet haben. Leon musste an die Hintermänner ran. Und die hoffte er in Warschau zu finden. Er musste die Wahrheit aufdecken, nur so hatte er eine Chance, seine Unschuld zu beweisen.
Tastend suchte er die Stelle am Hals. Hatte er überhaupt eine Chance? Wie schnell würden die Kiemen wachsen? Und konnte das Virus weiter mutieren, bis es auch über die Luft ansteckend war?
24
Samstag, 18. Mai, morgens, Chicago:
Ethan Hilden Senior saß mit versteinertem Gesicht am Frühstückstisch. Er blätterte mit dem Zeigefinger durch die Nachrichten, die über seinen Mini-Computer tickerten. Dann und wann schalteten sich O-Töne dazu, jemand schrie: »Fuck!«
»Ihr Schweine!«, brüllte eine Frau. Ein Sprecher kommentierte das Geschehen. »Vor der US-Transferbank ist in der Nacht eine Bombe hochgegangen...«
Jemand schluchzte. »Hilfe, die Stadt brennt!«
Josi erfasste bruchstückhaft was passiert war. Die Polizei hatte als Antwort auf das Attentat in mehreren Teilen der Stadt Razzien gemacht. Aufgebrachte Jugendliche sahen das als Provokation an. Sie wehrten sich. Es kam zu Schlägereien. Doch eskaliert war die Situation erst, als junge radikale Nationalisten, einige Anhänger der Tea-Party-Bewegung und Rassisten aus dem Kreise der älteren Mitbürger gemeinsam gegen Morgen durch die Stadt zogen und brüllten: »Scheiß Chimären. Raus aus unserer Stadt!« Plötzlich brannten überall in Chicago Autos und Mülleimer.
»Die Polizei hat versagt«, kommentierte ein Sprecher. »Aufgebrachte Bürger haben sich seit heute Morgen vor dem Wohnhaus des Bürgermeisters versammelt und verlangen das Einschreiten der Nationalgarde.«
Eine Journalistin interviewte vor Ort eine hysterisch klingende Frau. »Ich habe alles ganz genau gesehen. Vermummte haben selbstgebastelte Brandbomben geworfen.«
Ethan Hilden Senior sah Josi an. »Josi, du hast heute frei?« Er zog eine Augenbraue hoch. »Ethan erzählte mir, du willst dich mit Freunden in der Stadt treffen.«
Bravo Ethan, dachte Josi.
»Ich halte das für keine gute Idee. Das sind die schwersten Ausschreitungen seit Jahren.«
»Ich bin vorsichtig.«
Der Hilden-Hausherr nahm einen Schluck Kaffee. »Du bist erst siebzehn. Ich bin als Gastvater für dich verantwortlich.«
Josi ließ ihr angebissenes Croissant aufs Tischtuch fallen.
Seid ihr alle total bekloppt? Wie viele falsche Väter brauche ich noch für die vier läppischen Monate, bis ich achtzehn bin ?
Hildens Senior zog die Augenbrauen zusammen. »Ich kann ja verstehen, dass du dich an deinem freien Tag langweilst. Du hast Glück, du hast einen Fürsprecher.« Hilden zeigte ein winziges Lächeln. »Ethan erklärt sich bereit, mit dir auf die Michigan Avenue zu gehen, dir vielleicht eher bekannt als die Magnificent Mile. Das Viertel ist seit Jahren abgeriegelt. Man kommt nur mit VIP-Karte hinein. Dort bist du sicher.«
Josi wollte etwas erwidern, aber unter dem Tisch bekam sie einen Tritt von Ethan. Er funkelte sie an. Pass auf, was du jetzt sagst, schien sein Blick zu sagen.
»Soweit ich weiß, ist die Magnificent Mile nicht ganz meine Preisklasse«, erwiderte Josi und imitierte den näselnden Tonfall von Hillary Hilden. Am liebsten hätte sie noch hinzugefügt »da suche ich doch lieber nach Schnäppchen in den Internetshops.« Aber im letzten Moment besann sie sich und beschloss eine neue Taktik. »Ich lese lieber ein Buch. Darf ich mich in der Bibliothek umsehen?«
»Vernünftige Entscheidung«, kommentierte Hilden Senior. »Da stehen gute Bücher. Wenn du Fragen
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