2030 - Chimaerenblut
Serafina sind bei der Nanny gut aufgehoben.« Er stand auf. Ungeduld lag in seinem Blick. »Also, was ist? Kommst du nun?«
Josi lag der Streit vom vorigen Tag noch auf der Seele. Sie wunderte sich, wie Ethan darüber hinweggehen konnte. Er war vielleicht eingebildet, aber nachtragend schien er nicht zu sein. Zumindest stand er zu seinem Wort. Und natürlich wollte sie wissen, wie es an der Uni Chicago zuging. Vor allem aber wollte sie mehr über die umstrittenen Chimären-Gesetze und die Auffassung der Juristen und Wissenschaftler erfahren. Die abendlichen Nachrichten hatten sie mehr als aufgewühlt. Manche politischen Sprecher hatten schockierende Forderungen gestellt. Bei dem Gedanken bekam Josi schlagartig Bauchschmerzen. Vielleicht war heute ein historischer Tag, ein schrecklicher Tag für alle Chimären. Die Antwort der Wissenschaft und die offizielle Aufteilung der Gesellschaft in Menschen und Chimären, die Aushebelung der Menschenrechte.
Hatte es nicht immer so angefangen?
Erfassen.
Kenntlich machen.
Degradieren.
Aussondern.
Vernichten.
Wann werde ich zu Sushi verarbeitet?, dachte sie voller Grauen.
»Was ist los, Josi? Du siehst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen?«
»Vielleicht habe ich das.«
»Ist es wegen diesem Leon?«
»Nein, diesmal geht es um mich.« Sie schüttelte abwehrend den Kopf. »Wir kommen zu spät. Ich muss noch schnell meine Jacke und meine Tasche holen. Gib mir dreißig Sekunden.«
Der Hörsaal war überfüllt, die Luft verbraucht. Studenten standen in den Gängen oder saßen auf den Treppenstufen. Sie lärmten, redeten und rückten Stühle. Seitlich vor dem Rednerpult waren Kameras aufgebaut. Daneben stand ein Tisch, der für zehn Diskussionsteilnehmer Platz bot. Eine Assistentin verteilte Gläser und Wasserflaschen.
Ethan drängelte sich mit Josi zwischen den Studenten hindurch und dann über eine schmale Treppe zu einer Empore.
»Ist das eine VIP-Lounge?«
»So ähnlich. Das ist der Platz für die Assistenten, Wissenschaftler und Gäste. Man muss vorher reservieren.«
»Aber ich habe keine Reservierung. Ich bin keine Studentin hier.«
»Du hast eine Einladung als Gasthörer von meinem Vater.« Ethan drückte ihr ein digitales Kärtchen in die Hand. »Das musst du oben in die Sitzlehne schieben. In den Schlitz. Damit bist du registriert. Lass die Karte nicht stecken, wenn wir nachher gehen. Die sind sehr beliebt.«
»Kann ich mir denken. Kommt dein Vater auch noch?«
Ethan schüttelte den Kopf. »Für den ist das hier Kinderkram.«
Für mich nicht, für mich geht es um meine Existenz als Mensch, dachte Josi und spürte ihr Herz vor Sorge und Aufregung klopfen.
Der Präsident der Law School begrüßte die Anwesenden und gab das Rednerpult frei für den Professor der Völkerrechts-Geschichte. Ein untersetzter Mann trat ans Mikrofon. Er strich seinen braunen Anzug glatt. »Bereits Anfang dieses Jahrtausends entstand weltweit in den Labors und unbemerkt von der Öffentlichkeit eine neue Spezies«, begann er ohne Anrede. »Chimären!«
Ein Raunen ging durch den Saal. »Bitte, meine Damen und Herren, lassen Sie mich ausreden. Vor zwanzig Jahren als in den Labors die ersten Zellklumpen mit Chimären entstanden, hätten ethisch-rechtliche Fragen dringend geklärt werden müssen. Aber die Forschung machte einen rasanten Sprung und die Rechtswissenschaft hinkt hinterher.« Er schob seine Brille tiefer, um besser ablesen zu können. »Wissen Sie, was sich hinter dem Patent 08/993564 verbirgt? Eingereicht am ersten April 1998 bei der US-Patentbehörde in Washington. Professor Stuart Newman, Entwicklungsbiologe am New York Medical College, beantragte die Patentierung von chimärischen Embryonen und von Tieren, die menschliche Zellen enthalten. Konkret wollte er Mensch-Affen-Chimären züchten.« Der Professor faltete die Hände und blickte auf. »Schaf-Ziege-Chimären, sogenannte Geeps , gibt es – wie sie hoffentlich alle wissen – bereits seit 1984. Nun aber sollte der Mensch mit dem Tier gemischt werden. Und bitte, meine Damen und Herren, vergessen wir dabei nicht, dass die Nutzung von menschlichem Zell- und Genmaterial in Tieren zu diesem Zeitpunkt bereits wissenschaftliche Routine war. Zum Beispiel bei der Erforschung menschlicher Karzinom-Gene in Mäusen.«
»Was hat das mit den Chimären-Gesetzen zu tun?«, brüllte ein junger Mann, dessen Gesicht und Arme komplett mit braunem Fell bewachsen waren. Studenten stampften mit den Füßen auf.
»Ruhe
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