2030 - Chimaerenblut
frische Brötchen für Nola und Tom mit. Sie bestrichen die Backwaren mit Kirschmarmelade, die sie aus geklauten Früchten selbst gemacht hatten, und redeten auf ihn ein. Erneut stritten sie darüber, ob er zu seiner Verabredung mit Baum gehen sollte. Leon zog sich in seine Bretterbude zurück. Schon morgen käme er ins Zeugenschutzprogramm, wenn alles gut lief. Das war sein einziger Gedanke.
Als er erneut die Kolonie verließ, war die Laube von Tom und Nola verschlossen. Schade, dachte er. Sie hätten mir wenigstens Glück wünschen können.
Er wählte einen Seiteneingang zum Bahnhof und begann hektisch auf einem Hanf-Riegel zu kauen, während er die Reisenden beobachtete, die an ihm vorbeihasteten. In fünfzehn Minuten würde er Ole Baum treffen. »Ich lade dich auf einen Kaffee ein«, hatte der Ermittler gesagt und am Telefon gelacht.
»Welche Sicherheit habe ich?«
»Du kommst aus der Menschenmenge und kannst in der Menschenmenge verschwinden. Glaubst du, wir fangen dort eine Schießerei mit dir an?« Wieder hatte Baum gelacht.
»Sie kommen alleine?«
»Ich lege deine vorbereitete Aussage auf den Tisch, du unterschreibst, und ich verschwinde. Du wirst sehen. Morgen bist du schon im Zeugenschutzprogramm.«
»Welche Beweise liegen gegen mich vor?«
»Indizien.«
»Ich war nie am Tatort.«
»Es gibt aber Spuren.«
»Und das genügt, um einen Unschuldigen…«
»Hör zu, die Beweise vom Tatort sind eindeutig gegen dich. Sei froh, dass wir auf deiner Seite sind. Das ist deine einzige Chance. Arbeite mit und nicht gegen uns.«
»Und der Polizeichef?«
»Der Polizeichef ist ein Wichtigtuer. Doch er ist der beste Freund vom Innenminister. Die spielen Golf zusammen.«
Ein Junge mit einem Skateboard, die Kapuze tief im Gesicht, raste plötzlich seitlich an Leon heran, riss ihn um und unterbrach jäh seine Gedanken. Der Junge reichte ihm die Hand, um ihm hoch zu helfen und zischte: »Das ist eine Falle. Leon, du musst sofort verschwinden! Nimm den Hinterausgang von McChimmy .« Dann sprang er auf sein Skateboard und raste davon.
42
Sonntag, 26. Mai, Berlin:
Das Läuten des Telefons riss Thomas Garden bereits um sieben Uhr aus dem Bett. Vielleicht Josi? Vorsichtig zog er den Arm unter Antonias Taille hervor, rollte sich aus den Laken und ging flüsternd ins Nebenzimmer. »Hallo?«
»Hier ist Anja aus der Nachtredaktion.«
»Was ist passiert?«
»Pack deine Sachen. Du fliegst noch heute nach Australien.«
Mit einem Schlag war er hellwach. »Spann mich nicht auf die Folter. Schieß schon los…«
»Der Gen-Kongress in Sidney, du hast davon gehört?«
»Ich weiß, ich wäre am liebsten selbst hingeflogen. Aber das hätte ja das Budget der Redaktion gesprengt. Haben wir eine neue Geldquelle aufgetan?«
Anja lachte bitter. »Rebellen haben führende Gen-Wissenschaftler und Politiker mit gefaktem Limousinenservice direkt vom Flughafen entführt. Niemand weiß, was die vorhaben. Es gibt bislang keine Lösegeldforderungen. Rate, wer auch dabei ist?«
»Unser Gesundheitsminister, Han Müller.«
»Bingo.«
»Und was kann ich da tun?«
»Der Kongress wurde nicht abgesagt. Flieg für ein paar Tage hin und höre dich dort um. Fang so viele O-Töne ein wie möglich. Ach, Thomas – ist Antonia bei dir?«
Garden fragte sich, woher sie das wusste. Sie hatten ihre Privatangelegenheiten immer aus dem Job rausgehalten. »Worum geht es?«, wich er aus.
»Wenn du sie siehst, sag ihr sie soll mitfliegen. Eure Reportagen haben inzwischen Millionenaufrufe. Sie soll filmen.«
43
Sonntag, 26. Mai, morgens, Chicago:
Josi schreckte aus dem Schlaf. Jemand schien gegen ihren Schädel zu klopfen. Sie krallte ihre Finger in die Bettdecke. Hoffentlich hat sich nicht wieder etwas an mir verändert. Mein Körper... es muss doch jetzt vorbei sein. Bitte!, flehte sie.
»Honey, Frühstück!« Ethan klopfte an der Tür, ließ sie aber taktvoll geschlossen.
Um diese Uhrzeit? Wie kommt Ethan nur mit so wenig Schlaf aus?
Sie wusste, dass er und sein Vater kaum geschlafen hatten. Die Nachricht vom Tod des Bodyguards hatte Hilden Senior auf einer Dienstreise erreicht . Gegen halb vier Uhr morgens war er auf dem Hilden-Anwesen eingetroffen. Josi hatte ihn leise mit Ethan sprechen gehört. Sie waren nach unten in sein Büro gegangen und hatten bis zum Morgengrauen geredet.
Die müssen doch jetzt hundemüde sein.
Ein Blick auf die Uhr ließ Josi hochschrecken. Zehn Uhr! Sie hatte tatsächlich ein paar Stunden geschlafen.
Sie
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