2030 - Chimaerenblut
dass sie mit der Familie Hilden nun Urlaub vor einer künstlichen Insel bei Dubai machen werde. »Auf einer Plastikinsel?«, kreischte ihre Mutter im Lautsprecher der Ohrstöpsel. »Nein, auf so einer Angeberyacht für Superreiche. Mach dir keine Sorgen.«
»Mach ich nicht. Melde dich! Küsschen.«
Bloß auflegen, bevor ich einen Hirnkrampf kriege, dachte Josi.
Mutlos rief sie ihren Dad an. Er schien nicht alleine zu sein. Hatte er eine neue Freundin? Josi wollte mit ihm über den erschossenen Bodyguard reden, aber ihr Dad faselte beinahe fiebrig von irgendwelchen neuen Viren-Gerüchten, denen er nachgehen wollte. Und er müsse kurzfristig wegen des Gen-Kongresses nach Australien. Hatte er denn nie genug von diesem Thema? Er jagte doch schon seit sieben Jahren einer Fata Morgana hinterher.
Sie musste mit Ethan reden. Wenigstens einen letzten Versuch wollte sie machen. Vielleicht hatte er doch noch eine Idee wegen Kathi. Aber nicht jetzt. Später. Warum hatten sie schon wieder gestritten? Sie ging ins Bad um ihre Kosmetikartikel zu packen und blickte aufs Waschbecken. Die Rose war mitsamt Zahnputzbecher umgefallen und lag auf dem Trockenen.
Ich hätte mich bedanken müssen. Schöner Mist.
Ihr NanoC summte. Sie stürmte hin.
Hoffentlich Kathi .
Ihr Vater hatte eine Nachricht gesimst : »Bin so froh, dass ihr nach Dubai fliegt. Berlin kocht. Es gibt Gerüchte über neue Viren. Wir haben Redaktionskonferenz. Ich muss danach zum Flughafen. Wünsch dir auch einen guten Flug. Dein Dad.«
Sie wählte erneut Kathi. Der Ruf ging durch, aber niemand nahm ab.
»Hast du es schon mitgekriegt?«, fragte sie zögernd und lehnte sich gegen den Sessel.
»Setz dich doch!« Ethan sah von seinem Bildschirm auf. »Was soll ich mitgekriegt haben?«
»Weitere drei Tote in Chicago, sogar vierzehn in Washington…«
»Und zehn in New York«, unterbrach er sie und zog eine Grafik am Bildschirm mit einer Handbewegung auf. »Ach ja, und fünfzehn Tote in Luxemburg, drei in Brüssel, und in Berlin hat es auch ordentlich gerumst. Da ist es sogar zu Plünderungen gekommen, mehrere Supermärkte und Apotheken wurden ausgeraubt.«
»Ich weiß es schon. Aber warum jetzt? Hast du dich mal gefragt, warum es jetzt so eskaliert?«
»Wieso? Solche Gewaltwellen hatten wir doch schon immer. Bei der Großen Influenza , dann als es mit den Chimären offiziell wurde … und eben jetzt.« Ethan zuckte mit den Schultern.
Josi schüttelte den Kopf. »Die überlebenden Kinder werden erwachsen.« Ihr Mund fühlte sich trocken an. »Und sie haben eine ungeheure Wut, über alles, was sie erleiden mussten, was sie verpasst haben, was ihnen angetan wurde und was ihnen nicht mehr möglich ist. Sie wurden um ihre Kindheit betrogen, und jetzt müssen sie feststellen, dass sie immer noch keine Hilfe bekommen.«
Ethan legte eine Hand auf ihre. »Du auch?«
Josi nickte. »Wir müssen aushalten, was andere verbockt haben. Ist das fair?«
»Nein«, sagte er und hielt weiter ihre Hand.
Eigentlich hatte Josi über Kathi reden wollen, sie wollte Ethan um Hilfe bitten, aber sie wusste nicht wie. Alles, was sie jetzt sagte, würde er missverstehen. Womöglich würde er wütend und glauben, sie spiele mit ihm.
»Danke für die Rose«, sagte Josi schlicht und beschloss, es jetzt nicht weiter zu versuchen. Doch die Enttäuschung trieb ihr die Tränen in die Augen.
»Es war vielleicht alles ein wenig zu viel in letzter Zeit«, sagte Ethan mit sanfter Stimme und streichelte ihre Hand.
»Nein.« Sie schluchzte auf, erhob sich und wollte gehen. Aber Ethan fing sie ab und nahm sie in die Arme. Sie zitterte. »Es ist wegen Kathi. Ich glaub, sie braucht mich wirklich. Sie ist doch ganz allein.«
»Wir kommen hier nicht weg.« Ethan seufzte. »Hast du vergessen, was gestern passiert ist?«
»Natürlich nicht.«
»Selbst wenn ich wollte. Wir haben mittlerweile vier Wachleute auf dem Grundstück. Es geht mir wie dir. Aber ich verspreche dir, sollte mir noch was einfallen, dann helfe ich dir.«
Josi sah ihn überrascht an. »Warum das? Ich denke, du…«
Ethan legte ihr einen Finger auf den Mund und lächelte sein charmantestes Lächeln. »Deinetwegen. Honey.«
44
Abends:
Gruselig, dachte Josi. Wie mit dem Messer aufgeschlitzt. Sie schob die Hautlappen beiseite. Blutrot. Aber nicht blutend. Vor langer Zeit hatte sie blutende Kiemen gesehen. Bei einem Karpfen. Die Ursache war eine Viruserkrankung, die Koi -Herpes-Seuche. Kritisch betrachtete sie ihre Kiemen im
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