2082 - Ein ganz normaler Held
„Ich kann und will dazu nichts sagen. Aber wir haben ein anderes Problem."
„Ja? Was ist es?"
„Die Fertigstellung der MILANO hängt nicht nur an unzähligen montagetechnischen Details fest, sondern in Wirklichkeit und in erster Linie an einem Material-Engpass."
„An welchem" fragte Richsen. Lew Czelnikow sah sich um, als müsse er befürchten, dass ihr Gespräch belauscht würde. Immer wieder kehrte sein Blick zu dem Roboter zurück. „Er wird dir nichts tun", sagt Richsen. „Er tut niemandem etwas - es sei denn, ich befehle es ihm." Das war übertrieben und dumm; überflüssig. Er wusste es in dem Moment, in dem er es sagte. Richsen hatte Mistkerl noch nie etwas befohlen; geschweige denn Gewalt auszuüben.
Aber Czelnikow schien die Bemerkung überhört zu haben. Er beugte sich zu Richsen vor und sagte flüsternd: „Um die MILANO fertigzustellen, benötigen wir sechzig Howalgoniumkristalle mit der Spezifikation RT-0066." Der fünfdimensionale Schwingquarz Howalgonium, das wusste Richsen, strahlte innerhalb einer bestimmten Bandbreite, die von der inneren Struktur abhing.
Spezifikation RT-0066 bedeutete, dass die Bandbreite der Vario-Abweichung nicht mehr als 66 Kalup betrug, was kaum zu unterbieten war. „Vorrätig", sagte Czelnikow leise, „sind allerdings nur Kristalle der Spezifikation RT-0195. Die 0195-Kristalle sehen aus wie die 0066er, schwingen jedoch mit einer höheren Vario-Bandbreite, was sie für den Einsatz in den hochsensiblen Ortergeräten der APFER-II-Baureihe unbrauchbar macht. Die Orteranlagen der MILANO können nicht auf einen 0195-Betrieb umgestellt werden. Es gibt keine Möglichkeit, die Kalibrierung zu ändern, zumal die 0195-Kristalle überdies umgebungssensitiv sind. Das heißt, ihre Schwingungsfrequenz passt sich im Hyperspektrum in geringem Umfang der Ungebung an. Und Kristalle, deren Frequenz nicht in jeder Umgebung konstant bleibt, sind als Bauteile in einer Hightech-Umgebung, besonders aber in einer Präzisions-Orteranlage, unbrauchbar."
Lew Czelnikow fuhr sich mit der rechten Hand über den Mund, als hätte er zuviel gesagt. Wieder sah er sich scheu um. „Ich danke dir", sagte Banther Richsen. „Du hast mir sehr geholfen. Zwar verstehe ich nicht viel von dem, was du gerade gesagt hast, aber ich weiß nun, dass wir Howalgoniumkristalle mit der Spezifikation RT-0066 brauchen. Wäre uns wirklich damit geholfen?"
„Auf jeden Fall", sagte Czelnikow. „Sie würden die Vollendung der MILANO ein Riesenstück weiterbringen."
„Dann werde ich sie euch besorgen", versprach Banther. „Und vielleicht überlegt ihr euch, wie die Montageprobleme zu beheben sind. Wir verstehen uns?"
„Du meinst, dass sie ...?"
„Genau", sagte Richsen. „Mach deinen Einfluss auf deine Leute geltend, Lew Czelnikow! Denk daran, das Schicksal der Werft hängt davon ab." Er klopfte dem Ingenieur auf die Schulter und verließ die Plattform. Als er die Montagehalle verließ, tat er das in dem Gefühl, wenigstens einen halbwegs Verbündeten im Rücken zu haben und nicht nur diesen lästigen Kampfroboter! Dann begab er sich ins Büro der Betriebsleitung, das mittlerweile zu seinem Büro geworden war, und schickte Kinda Apfer und die Sekretärinnen nach Hause. Für sie gab es ohnehin nichts mehr zu tun. Die APFER-Werft war von dem Rest der Welt so gut wie abgeschnitten.
Während der nächsten Stunden klemmte sich Banther Richsen persönlich ans Funkgerät, suchte die Rufkodes der Zulieferer heraus und versuchte, die Howalgoniumkristalle mit der Spezifikation RT-0066 aufzutreiben. Die Lieferung wurde ihm für den kommenden Tag schon zugesagt, die Zulieferer zeigten sich kooperationsbereit. Banther Richsen lehnte sich im Sessel zurück, halb zufrieden, halb skeptisch. Warum befanden sich die Kristalle nicht am Lager? Warum waren sie nicht schon längst bestellt und geliefert worden? Er hatte ein schlechtes Gefühl, und es sollte ihn nicht trügen. Wie lange hatte er noch zu leben? Banther hatte längst begonnen, die Tage zu zählen.
7.
Terra / Luna
21. Februar 1304 NGZ
Der Erdmond.
Allen voran ging Mascant Kraschyn. Er war praktisch immer dort zu finden, wo seine Untergebenen Löcher in die Plastik-, Stahl- und Gesteinswände der lunaren Großsyntronik bohrten und ihre Sprengladungen hineinsteckten. Und das war so gut wie überall unter der Oberfläche des Mondes. Die wichtigsten Sektionen NATHANS wurden mittlerweile permanent von Arkoniden überwacht, allenthalben stieß man auf
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