2130 - Der Wurm der Aarus
Wässer treibenden Laich entschlüpft... und ihre Überlebenschancen waren sehr gering, selbst hier, im Wurm. Auf Aar hatten Tausende von Fressfeinden den Aarus im ersten Lebensstadium den Garaus gemacht, aber auch ohne diese ging heutzutage der Bestand des Volkes nicht über eine gewisse Anzahl hinaus. Es mochte daran liegen, dass es inzwischen zu viele defekte Gene gab, dass der Laich an sich mangelhaft war, weil er nicht unter optimalen Bedingungen entstand - schon geringer Stress konnte das Gefüge empfindlich stören. Aber auch die evolutionär hoch spezialisierte Entwicklung selbst verlangte der Jungbrut alles ab. Hunderttausende starben trotz ausreichender Nährstoffzufuhr an Entkräftung.
Wer überlebte und zu einem etwas über eine Handspanne langen Glasfischchen herangewachsen war, kam in den nächsten Bereich. Auch hier herrschte eine strenge Trennung bei den Kammern - im größten „Becken" wimmelten die Unmarkierten, in den übrigen die hochgezüchteten Nachkommen aus den Genetischen Linien, deren Herkunft einwandfrei nachweisbar war. Die Markierten kannten ihre Erzeuger und konnten sich auf deren Protektion auf ihrem weiteren Lebensweg verlassen. Sie alle besaßen besondere Eigenschaften, die über die Jahrtausende hinweg gezüchtet worden waren. Aus ihren Reihen wurden die späteren Rescoten selektiert, die Offiziere und Angehörigen der Schiffsführung, die für alle höheren Aufgaben eingesetzt wurden.
Sogar von den Glasfischchen blieben viele während der weiteren Entwicklung auf der Strecke. Der Rest, ein paar tausend, schaffte es bis zum Vierfachen an Körpergröße. Die Gliedmaßen waren jetzt schon rudimentär vorhanden, aber nicht fertig ausgebildet. Nun kam das Wachstum abrupt zum Stillstand, und die vormals schuppige Haut veränderte sich, sie wurde undurchsichtig, hart und rau, die Schuppen lösten sich und fielen ab. Die Fischlinge spannen sich mithilfe einer Drüse in einen Kokon ein, wurden aus dem Wasser gefischt und in eine spezielle Brutkammer gebracht, wo sie sich innerhalb von mehreren Monaten zum landlebenden Aarus mit fertig ausgebildeten Gliedmaßen und Lungen entwickelten. Diese überaus anstrengende Wandlung überlebten ebenfalls nicht alle.
Nach dem Schlupf aus dem Kokon wurden die jungen Aarus in die Obhut der ersten Lehrer gegeben, die ihnen als Erstes die Wunder des Wurms zeigten - und wie sie sich darin bewegen konnten.
Cheplin konnte sich an seine Zeit als Glasfischchen kaum mehr erinnern, sein „richtiges" Leben schien erst nach dem Schlupf begonnen zu haben. Was er noch aus der Zeit „davor" wusste, waren allerdings Geschichten über den Wurm und seine Vergangenheit und wichtige Formeln: Wir wissen, woher wir kamen, und wir wissen, wohin wir gehen. Aus dem Meer kommen wir, und ins Meer kehren wir am Ende zurück. Das war unauslöschlich in seinem Bewusstsein verankert. Vielleicht zog es ihn deshalb immer wieder hierher zur Genetischen Sphäre - wie die meisten Aarus. Die besten Plätze rund um die Sphäre waren stets besetzt, Schaulustige drängelten sich rund um den gesamten Komplex.
Im Zylinder arbeiteten die Genetiker, die Sicht war hier nur sehr verschwommen und diffus. In der Südlichen Kuppel war es da schon weitaus interessanter: Diese Sphäre diente der Fortpflanzung, das Wasser war mit Hormonen angereichert, die unweigerlich den Geschlechtstrieb auslösten, sobald man den ersten Kiemenatmer tat.
Das Wasser schien manchmal geradezu zu kochen, wenn sich viele fortpflanzungsfähige Aarus darin aufhielten. „Du hast wohl deinen Verstand im Süden abgegeben" war eine Redewendung, die nicht von ungefähr kam. In diesem Wasser regierten die Sinne, bis man sich völlig verausgabt hatte und erschöpft zum Ausgang schwamm.
Für die Zuschauer außerhalb war es stets eine abwechslungsreiche Erfahrung. Manchmal, wenn bekannt wurde, dass sich hochrangige Persönlichkeiten paarten, drängten sich die Massen vor den Kuppelscheiben platt, um nichts zu versäumen.
*
„Jetzt!"
Von allen Seiten kamen sie plötzlich auf ihn zu. Cheplin erkannte Vaikiri hinter sich. Er versuchte, sich aus dem Klammergriff zu winden, aber die Angreifer waren zu dritt, und er hatte in der Schwerelosigkeit keinen Halt, um sich festzustemmen und sie auszuhebeln. Er wand sich dennoch heftig; doch dann desaktivierte einer seinen Portensor, und nun war er hilflos ausgeliefert.
„Vaikiri, was soll das?", schrie Cheplin. „Bist du verrückt geworden?"
„Du wirst es gleich sein",
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