214 - Der Mann aus der Vergangenheit
Geldleistungen geht. Man neidet es dir, und man kreidet mir deine schlechten Umgangsformen an. Du ruinierst, was du dir so mühsam aufgebaut hast – und du bringst mich immer mehr in Verruf.«
»Du verstehst nicht, Marie-Antoinette! Wir Aeronauten stehen in einem Wettkampf. Gut, ich war der Erste, der in die Luft steigen durfte. Doch mittlerweile schießen allerorts Ballonmanufakturen aus dem Boden. Tagtäglich werden Verbesserungen und neue Versuche gemacht, Rekorde angekündigt, Materialien getestet. Größere Höhen sollen erreicht, längere Reisestrecken erzielt werden. Man redet von einer besseren Lenkbarkeit der Montgolfières. Tagtäglich werden auch mir Angebote gemacht, dass ich diesen und jenen Scharlatan unterstützen möge. Manche von diesen Herrschaften sind durchaus Ernst zu nehmen, bei den meisten allerdings handelt es sich um geistige Lurche. Der König ist, bei aller Höflichkeit, nicht in der Lage, Hinz von Kunz zu unterscheiden. Das sollte er nun mal dem Fachmann überlassen.«
»Und diese Fachleute sind die Brüder Montgolfier und du, deiner Meinung nach?«
»Nein«, antwortete Jean-François, ohne mit der Wimper zu zucken. »Die Montgolfiers gehen einen falschen Weg. Sie denken zu eng. Sie meinen, dass die Wirkung heißer Luft alleine reicht, um die Steuerbarkeit ihrer Luftschiffe ausreichend zu gewährleisten. Sie wollen größer und noch größer bauen, statt an ergänzende Lösungen zu denken. Ich weiß, dass mehr notwendig ist, um aus einem Spielzeug ein ernstzunehmendes Fluggefährt zu bauen, das irgendwann einmal einen praktischen Nutzen haben könnte. Stell dir eine Flotte von Luftschiffen vor, die feindliche Armeen bombardiert. Unangreifbar wäre sie, mit den Kanonen des Gegners nicht erreichbar, aber selbst dazu in der Lage, schwere Geschütze nach unten abzufeuern. Und dazu ist ein Umdenken erforderlich: Mit Hilfe der Vermischung zweier Gase sollte es mir möglich sein, etwas völlig Neues zu schaffen, das den herkömmlichen Montgolfières weit überlegen ist.«
»Du spielst schon wieder deine Spielchen, Jean-François.« Die Königin runzelte die Stirn. »Du wirfst Brocken von Kriegsvorteilen, Geschossen und Luftflotten ins Gespräch, in der Hoffnung, dass ich sie meinem Gemahl gegenüber erwähne.«
»Ja, Marie-Antoinette.« Er zuckte mit den Schultern.
Plötzlich fühlte er diese immense Last, die auf seinen Rücken drückte. Dieses Gefühl des Getriebenseins, nie still halten zu können, immer wieder neue Ufer erkunden zu wollen. In dem Bewusstsein, mit einer begrenzten und viel zu kurzen Lebenszeit auskommen zu müssen. »Ich möchte, dass du diese Dinge erwähnst. Meinetwegen. Zum Wohl des französischen Volkes. Um dem Königshaus zu dienen.«
Die Königin nickte versonnen. »Und ich vermute, du meinst es auch genau in dieser Reihenfolge. Ach, Jean-François, wohin wird dich dein Streben nach Ruhm und Fortschritt noch bringen…«
8. Der 14. Juni im Jahr des Herrn 1785
Monate und Jahre der Versuche lagen hinter ihm.
Gemeinsam mit Louis Joseph Proust war es ihm gelungen, in einem Ballon namens La Marie-Antoinette eine Höhe von dreitausend Metern zu erreichen und eine Strecke von zweiundfünfzig Kilometern zurückzulegen. Auch die Geschwindigkeit war die höchste gewesen, die jemals mit einem Ballon erreicht worden war.
Dann hatte sich Jean-François ein noch ehrgeizigeres Ziel gesteckt. Er wollte mit der von ihm in endlosen Tests und Versuchen entwickelten Rozière den Ärmelkanal überqueren. Von Frankreich nach England, entgegen der vorherrschenden Luftströmungen.
Am 7. Jänner 1785 hatten seine Ambitionen einen gehörigen Dämpfer erlitten: Jean-Pierre Blanchard war im Beisein des amerikanischen Arztes und Mäzens John Jeffries die Strecke in die entgegen gesetzte Richtung geflogen. Allmählich dämmerte den europäischen Staatsoberhäuptern und deren Ministerien, welch eminente Bedeutung dem Luftverkehr einmal zukommen mochte.
La manche, der Ärmelkanal, galt als Gewässer, dessen Beschiffung aufgrund der meist unruhigen See nach wie vor mit Risiken und mit Krankheit verbunden war. Im Luftverkehr hingegen…
Jean-François ballte die Hände zu Fäusten. Na und?
War man ihm halt zuvorgekommen! Doch gegen die Winde durch die Luft zu fahren, die umgekehrte Strecke in Angriff nehmend – dieses Abenteuer blieb ihm vorbehalten. Und um dies bewerkstelligen zu können, bedurfte es nicht nur eines Gasballons, wie ihn Jean-Pierre Blanchard verwendet hatte, sondern
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