2169 - Das Lichtvolk
Transparentscheiben-RückseitenÄtzungen. Ab morgen in den Gängen der zweiten bis vierzehnten Etage."
„Wegen des fulminanten Erfolges und der großen Nachfrage wird der Vortragsabend >Lieder und Ausdruckstänze zur Erinnerung an den Vertrag von Tradom< ein weiteres Mal wiederholt. Ausführende sind die beliebten Zowel-Schwestern Zargele und Neraliu. Der Reinerlös kommt der Erünie-Zowel-Stiftung zur Förderung begabter Jungmädchen zugute. Nicht vergessen ..." Selten hatte ich die Aura meines gewöhnlich so ausgeglichenen Vaters derartig flackern sehen. „Ich denke, jetzt ist dir klar, warum uns Panige nicht begleiten wollte", flüsterte er. „Selbst wenn sie Zeit gehabt hätte - hier herein setzt sie ihre Füße nur, wenn sie unbedingt muss." Nachdem wir die Schleuse zum Wohnbereich der Baszmarin endlich gefunden hatten - es war übrigens das vorletzte Stockwerk, halbrechts und gleich die zweite Tür -, umarmte mich Enguarti und wünschte mir Glück. Er erinnerte mich nochmals daran, dass ich ihn jederzeit anfunken durfte, falls ich meinte, es nicht länger aushalten zu können. Dann betätigte er die Türglocke. Einmal. Dreimal. Dreizehnmal. Dreißigmal.
Irgendwie muss es meinem lieben, notorisch zurückhaltenden Vater gelungen sein, die Botschaft mitzuschicken, er würde auch weitere dreihundert Male läuten, so es jemand darauf ankommen ließe. Jedenfalls öffnete sich endlich eine Luke, und ein bläulichkaltes Augenpaar musterte uns argwöhnisch. „Enguarti und Anguela Kulalin" ,sagte der Vater. Zugleich gewitterten höfliche, aber auch spöttische Farbschattierungen um seine Mundwinkel und den sichtbaren Teil seiner Nase. „Und tu nicht, als ob du mich nicht kennen würdest, Gigiper Zowel. Wir haben im Spielhof mancherlei Strauß ausgefochten, zu einer Zeit, als Siv'Kaga noch um einige Kuppeln kleiner war." Es klickte. Vater drückte mich ein letztes Mal, dann schlurfte er von dannen, noch bevor die Tür ganz aufschwingen konnte.
Der Mann, der im Türrahmen erschien, hielt sich unnatürlich gerade. Fast hätte ich laut aufgelacht, als ich seine Mitleid erregend verkrampfte Statur gewahrte. Er stellte ein unfreiwillig kornisches Zerrbild des aktuellen männlichen Schönheitsideals dar, eine lächerliche Karikatur des Traums von ewiger Jugend und Zeugungskraft. Das sah sogar ich, ein Schulkind. Skelett, Muskulatur und Sehnenapparat des Lichtvolks konnten schon seit geraumer Zeit mit der durch unsere avancierte Biotechnik erreichten Langlebigkeit nicht mehr mithalten. Guyaam wurden bis zu weit über dreihundert Thadrin alt. Doch bereits ab etwas mehr als einem Drittel dieser Lebensspanne begannen ihre Körper nachzulassen.
Daher standen die meisten von uns verkrümmt. Ältere Leuchterinnen stützten sich in der Regel auf einen Gehstock. Bequemere Naturen benutzten ein leichtmetallenes, antigravitätisches Exoskelett. Das war jedoch außerhalb des eigenen Intimbereichs verpönt und ohne Ansehensverlust höchstens unheilbar Kranken gestattet. Denn es ging ja nicht darum, wie man aussah. Es ging darum, wer man war. Die meisten Frauen hatten das begriffen und trugen deshalb die Last des Alters mit Würde. Aber manche Männer ... Gigiper Zowel hatte seine Lebensmitte deutlich sichtbar überschritten. Dies konnte ich seiner Aura-Signatur entnehmen, aber ebenso der Dicke der Haut im unverhüllten Mundbereich.
Während diese bei Jüngeren ein lichtes, fleischiges Blau aufwies, zeigte sie sich bei Älteren pergamenten dünn sowie farblos bis durchscheinend. Der Eheling der Baszmarin wollte das aber nicht wahrhaben. Seine Mundpartie war xynondick überschminkt. Und sein Rückgrat wurde offenbar von Strapsen hochgezerrt, sein lang schon erschlafftes Fettgewebe von Gurten mühsam gebändigt. Kompressen drückten sein Becken nach vorn, um ihn jugendlich erscheinen zu lassen, was aber bei ihm nur noch grotesk wirkte.
Kurz, er bot ein Bild des Jammers. Und dabei hätte er doch so gern den pneumatisch adaptierten Modellathleten nachgeeifert, die auf den Heimstilseiten der Netzwerkmagazine als Aufputz dienten. „Äh ... ich komme, um von Frau Baszmarin Zowel unterrichtet zu werden", krächzte ich, schwer gegen das Lachen ankämpfend, das aus meiner Kehle hervorbrechen wollte. „Soso." Er richtete sich derart stocksteif auf, dass jeder einigermaßen vernünftige Ergonom sofort einen schwerwiegenden Haltungsschaden diagnostiziert hätte. „Ömhüm. Tja. Ömhüm." Er räusperte sich mehrmals. „Du bist also der
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