2213 - Der Traum von Gon-Orbhon
entdeckte, das jemand auf die Trümmer des Turms gezeichnet hatte, das sich einst über dem Schacht erhoben hatte. Ein Oval und ein Schwert - das Symbol der Sekte Gon-Orbhons.
Minutenlang starrte er dumpf vor sich hin. „Es tut mir so Leid, Papa", stand auf der Folie. In Saghas Schrift.
Tatsächlich und unleugbar in Saghas Schrift. „Ich musste es tun. Ich konnte nicht anders."
Er wehrte sich gegen den Gedanken, dass seine Tochter für diese ... Katastrophe verantwortlich sein sollte. Er liebte seine Tochter über alles, und er war sicher, dass sie die Liebe erwiderte. Sie würde ihn nicht verraten - es sei denn, dass sie in den Bann der Sekte und ihrer Fanatiker geraten war.
Bedeutete ihr Hilferuf, dass eben das geschehen war?
Er zwang sich zur Ruhe und zu nüchterner Überlegung. Nach seinen Informationen nahm die Zahl der Anhänger dieser Sekte von Stunde zu Stunde zu. Schon reichte der Arm Gon-Orbhons bis weit in die Provinzen hinein. Die Botschaft Carlosch Imberlocks sprang von Stadt zu Stadt und wurde in Tokio ebenso gehört wie in Rio de Janeiro, Mexiko-City oder Kapstadt.
Seine Tochter im Kreise der Anhänger zu suchen bedeutete nicht, dass sich die Zahl ihrer möglichen Aufenthaltsorte verringerte. Allerdings ...
Er richtete sich wie elektrisiert auf. Sagha könnte sich jenen Fanatikern angeschlossen haben, die Anschläge verübten, um den Aufbau zu behindern. Aus den Nachrichten ging hervor, dass die Sicherheitsorgane diese fanatisierten Anhänger Carlosch Imberlocks energisch bekämpften. Also gab es eine Fahnungsliste.
Er zog den Gleiter herum und beschleunigte scharf. Innerhalb weniger Minuten erreichte er das Retrorevier. Er landete vor dem Eingang, direkt unter dem nunmehr blinkenden „Jail"-Schriftzug, und stürmte in das Gebäude.
Er hoffte, Tender dort vorzufinden und ihn für seine Interessen einspannen zu können.
Doch die Räume der Wache waren leer. Niemand hielt sich darin auf. Offenbar befanden sich alle Beamten bei einem Einsatz. Das war sogar noch günstiger als erhofft. Er setzte sich sogleich vor einen der altertümlich wirkenden Computer. Nach einigen Fehlversuchen gelang es ihm, die Liste auf den Monitor zu holen. Sie existierte tatsächlich, und sie enthielt eine Fülle von Informationen.
Wenig später entdeckte er den Namen seiner Tochter darauf. Also doch!
Aufgewühlt schloss er die Augen. Zwiespältige Gefühle durchliefen ihn und trieben ihm Tränen in die Augen. Auf der einen Seite war er froh, etwas über Sagha herausgefunden zu haben. Es gab sogar Hinweise darauf, wo sie sich häufig aufhielt. So hatte er eine Chance, sie zu finden. Auf der anderen Seite empfand er Hass gegenüber der Sekte, die seiner Tochter die Freiheit und ihr eigenes Ich genommen hatte, um sie sich für ihren Gott Gon-Orbhon einzuverleiben.
Eysbir kannte seine Tochter. Sie war eine aufrichtige, moderne Frau, die ihre eigenen Überzeugungen von persönlicher Freiheit und Verantwortlichkeit hatte. Stets hatte sie sich vehement gegen staatliche Versuche gewehrt, ihr Aufgaben und Verantwortung abzunehmen, die sie als ihr Privileg ansah. Sie wollte sich nicht einengen lassen, und sie hatte sich immer leidenschaftlich dafür eingesetzt, den staatlichen Einfluss auf die private Sphäre so klein wie nur eben möglich zu halten.
Wenn eine Frau wie sie der Sekte Gon-Orbhons beitrat und einen wesentlichen Teil ihrer Persönlichkeit dem neuen Gott opferte, ging etwas nicht mit rechten Dingen zu.
Der Verlust schmerzte. Theorod Eysbir war nicht bereit, ihn so ohne weiteres hinzunehmen. Er war entschlossen, seine Tochter aus der geistigen Versklavung zu befreien.
Sie war versklavt. Daran bestand für ihn keinerlei Zweifel. Nur so konnte er sich erklären, dass ihr Name auf der Fahndungsliste stand und dass sie wegen Beteiligung an Terroranschlägen von der Polizei gesucht wurde. Allein dem Umstand, dass die Beamten hoffnungslos überlastet waren, war zu verdanken, dass sie bisher noch nicht verhaftet worden war.
Mondra Diamond blickte auf den Zeitzünder. Die Uhr lief unerbittlich. 5:03 ... 5:02 ... 5:01 ...
Der Zeitpunkt der Explosion rückte schnell näher.
Sie konnte sich nicht bewegen. Die Paralyse dauerte an, und sie würde auf keinen Fall innerhalb der ihr verbleibenden Frist enden. Eine Chance, sich selbst zu befreien, gab es nicht für sie.
Verzweifelt suchte sie nach einem Ausweg. Vergeblich. Es gab keinen. Nur die terroristischen Jugendlichen wussten, dass sie hier war.
Theorod Eysbir saß
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