222 - Angriff auf die Wolkenstadt
Seufzend kletterte er über die blondeste seiner Gattinnen hinweg, stieg aus dem Bett, zog sich den Morgenmantel über und schlurfte zur Tür. Kaum hatte er den rechten Flügel einen Spalt weit geöffnet, zischte er: »Was kommt dir in den Sinn, mich mitten in der Nacht zu wecken, du Quälgeist von einem Sohn?«
»Botschafter einer fremden Königin warten vor dem Palast, mon cher Papa.« Victorius wirkte leicht atemlos. »Sie sind zu zweit. Die Bodenpatrouillen haben sie herauf gebracht, angeblich sind sie mit einer vierrädrigen Dampfmaschine gekommen.«
»Ich kann mir keine Botschaft denken, die nicht bis nach dem Frühstück warten könnte!«, sagte der Kaiser unwirsch.
»Bewirte sie so lange, mein Sohn, spiele meinetwegen eine Partie Schach mit ihnen. Wenn sie einen einigermaßen zivilisierten Eindruck machen, darfst du sie auch gern zum Frühstück einladen.«
Der Kaiser wollte den Türflügel zudrücken, doch der Prinz stellte seinen Stiefel in den Spalt. »Die Boten behaupten, es gehe um Krieg oder Frieden!«
Tadelnd blickte der Kaiser auf die Stiefelspitze, bevor er den Blick hob und lächelte. »Wer sollte uns wohl angreifen, mein Sohn?«, fragte er spöttisch.
»Das wollen diese Boten nur dem Kaiser persönlich mitteilen, doch angeblich steht ein Angriff kurz bevor. Das konnte ich heraushören.«
Der Kaiser neigte den Kopf und runzelte die Stirn. Er schwankte zwischen spöttischer Heiterkeit und nachdenklicher Sorge.
»Komm zu mir, mon chéri«, säuselte die blondeste seiner Gattinnen aus dem Schlafzimmer.
Der Kaiser lächelte entzückt, doch dann verdüsterte seine Miene sich wieder und er richtete seinen Blick erneut auf seinen Sohn. »Also gut, ich höre diese Leute an.« Er hob den rechten Zeigefinger. »Aber wehe, ihre Botschaft ist nicht so dringend, wie du behauptest!«
Zwanzig Minuten später stolzierte Kaiser Pilatre de Rozier an der Seite seines Sohnes Victorius in den kleinen Konferenzsaal. Dort hatte man den Botschaftern der unbekannten Königin inzwischen Kaffee und Gebäck gereicht.
Zwei Palastwachen, ein Offizier der Außenpatrouillen, ein Sekretär des neuen Kriegsministers und eine Dolmetscherin waren bei ihnen. Die Fremden machten einen übernächtigten Eindruck.
Victorius de Rozier übernahm es, seinen Vater und die Emissäre einander vorzustellen. Der jüngere der beiden war ein kleiner drahtiger Mann von hellbrauner Hautfarbe namens Osamao. Pilatre schätzte ihn auf Ende dreißig. Der zweite, erheblich ältere Offizier des unbekannten Heeres hieß Imyos und war überdurchschnittlich groß und dürr. Seine Haut war von einem matten Schwarz.
Der Kaiser verzichtete auf die sonst bei solchen Begegnungen üblichen Höflichkeitsfloskeln und Konversationen. »Sie mögen vorbringen, was sie vorzubringen haben«, sagte er nur knapp.
Die Dolmetscherin fasste die hastig und wortreich vorgetragene Botschaft der fremden Offiziere zusammen, und der Sekretär des neuen Kriegsministers tauchte seine Feder ins Tintenfass und schrieb Wort für Wort mit: »Diese Offiziere gehören zum Volk der Huutsi und dienten einem gewissen König Yao«, erklärte die Dolmetscherin. »Den ermordete kürzlich ein Emporkömmling namens Daa’tan, ein Fremder, und schwang sich selbst zum König der Huutsi auf…«
Der Kaiser bemerkte, wie sich die Gestalt seines Sohnes plötzlich straffte. Victorius’ Gesichtshaut nahm eine ungesunde, schmutzig-graue Farbe an.
»… die Witwe des bedauernswerten König Yao, Königin Elloa, sendet nun diese beiden Obersten zu Kaiser de Rozier, um ihn zu warnen. Jener Daa’tan nämlich, ein Hellhäutiger übrigens, hat sich in den Kopf gesetzt, das Heer gegen die Hauptstadt des kaiserlichen Reiches zu führen. Mit tausend Kriegern zu Fuß, Tsebras und mit Dampfbaiks und Roulern marschiert er bereits zu dieser Stunde am Westufer des Sees nach Süden, um die Kaiserstadt anzugreifen. Der Vermessene will selbst Kaiser der Wolkenstädte werden. Kaiser de Rozier möge gewarnt sein und geeignete Maßnahmen ergreifen, um den Schurken aufzuhalten, die Verteidigungsstellungen der Kaiserstadt zu befestigen und sich vor Spionen in Acht nehmen. Königin Elloa erfleht ihm das Kriegsglück vom Himmel über Afra herab, und sie erbittet nach vollbrachtem Sieg Asyl in der Kaiserlichen Wolkenstadt für sich selbst und für ihre beiden Emissäre und ihre Sippen.«
De Rozier betrachtete die beiden erschöpften Boten mit ausdrucksloser Miene. Er war wie vom Donner gerührt. Der Sekretär des
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