222 - Angriff auf die Wolkenstadt
Feuer steht!«
Rönee nickte und rannte das Gefälle hinunter nach Süden.
De Rozier ließ die Kanonen ausrichten, was durch die Schräglage der Stadt immer schwieriger wurde. Er gab Feuerbefehl, die Kanoniere schossen, doch die Flugbahnen der Projektile verliefen viel zu steil. Dreihundert Meter vor der ersten Angriffswelle des Feindes schlugen sie ein.
»Vielleicht schaffen wir es, die Stadt mit den Propellern über den See ans Ostufer in Sicherheit zu bringen!«, schlug Tala vor.
»Und was geschieht, wenn wir über dem See abstürzen?«, fragte der Kaiser zurück.
Rechts von ihnen schrien Männer auf. Sie fuhren herum.
Zwei Kanoniere hieben mit Säbeln auf Dornenranken ein, die sich unvermittelt über den Rand der Wolkenstadt schoben und sogar aus den Planken und hölzernen Geländern sprossen.
»Matts Sohn ist da!«, flüsterte der Kaiser. Kalter Schweiß brach ihm aus. Dornige Äste schlängelten sich um die ersten Kanonen und die Beine der Kanoniere. Niemand dachte mehr daran, auf das feindliche Heer zu feuern, jeder hatte genug damit zu tun, sich gegen das auf gespenstische Weise lebendige Dornengestrüpp zu wehren.
Tala schlug mit dem Degen nach den dornigen Ranken, die sich um die Stiefel des Kaisers geschlängelt hatten. Plötzlich hörte sie ein Zischen – Dornen durchbohrten die Hülle des Trägerballons. »Der Pflanzenmagier zerstört die Gaskammern!«, flüsterte sie.
Der Sinkflug der Stadt beschleunigte sich spürbar. Wenige Minuten später setzte Wimereux-à-l’Hauteur hart am Ufer des Sees auf. Eine Staubwolke erhob sich rund um die Stadt. Die Hälfte der Dampfdruckkanonen stürzte samt den Kanonieren von den Rändern der Stadt. Niemand blieb auf seinen eigenen Beinen stehen. Auch Tala und der Kaiser nicht. Überall schrien Männer, überall zischte Dampf. Und Gas? Tala konnte nur hoffen, dass es auf kein offenes Feuer traf, sonst wäre die Katastrophe perfekt.
Sie blickte sich um. Im letzten dämmrigen Licht des Tages sah sie Uniformierte und bewaffnete Bürger zu den Rändern stürmen, um Wimereux-à-l’Hauteur gegen Eindringlinge zu verteidigen. Am Südrand der Stadt wurde noch immer heftig gekämpft. Das Feuer in den beiden Propellerstationen jedoch schien gelöscht worden zu sein, denn Tala konnte weder Rauch noch Flammen entdecken. Am Seeufer, im Wald und auf der Rodung hörte sie Kampflärm. Motoren stampften, Klingen klirrten gegeneinander, das Donnern der Dampfdruckkanonen hallte durch die Dämmerung. Auch die restlichen Kanonen feuerten wieder; diesmal aus günstigen Positionen.
Tala schöpfte Hoffnung. Wimereux war noch lange nicht verloren! Schon brachten Kanoniere die Flaschenzüge in Stellung, schon wurden die abgestürzten Dampfdruckkanonen wieder hinaufgezogen.
Tala sah, dass auch der Kaiser zum Stadtrand eilte, seinen Degen in der Faust. »Eure Excellenz!«, schrie sie und lief ihm hinterher. »Ihr dürft nicht in der ersten Reihe fechten! Das ist verantwortungslos! Ihr müsst die Schlacht kommandieren!«
Doch der Kaiser eilte weiter, und Tala konnte ihn nicht erreichen. Überall wucherten Dornenranken, und man kam schwer voran. Fast jeder Schritt war mit Schmerzen verbunden.
»Ich bitte Euch, Excellenz…!«, rief Tala ihm nach.
Etwas flog durch die Luft und verhakte sich im Fundament einer noch leeren Geschützstellung und im Dornengestrüpp.
Die Erste Leibwächterin starrte das metallene Ding an – ein dreispitziger Widerhaken. Tala riss den Degen aus der Scheide und zerschlug das Seil, an dem er hing und an dem die ersten feindlichen Krieger über den Ballonwulst heraufkletterten.
Doch überall schlugen nun die Widerhaken im Gestrüpp ein, schon sah Tala die ersten Federbüsche feindlicher Krieger auftauchen – hinter sich, vor sich, und direkt neben dem Kaiser. Schreiend hieb sie sich zu ihm durch. Einer der Angreifer hatte ihn zu Fall gebracht. Nun richtete der Federbuschkrieger eine Faustfeuerwaffe auf de Rozier.
Tala warf sich auf den Angreifer und bohrte ihm den Degen in den Rücken. »In Deckung, Exce…!«, schrie sie, brach jedoch geschockt mitten im Wort ab. Der Kaiser war nicht gestürzt – er war eingesponnen von Ranken, die aus dem Holzboden wuchsen, und konnte sich kaum mehr bewegen!
Tala riss die Klinge aus dem sterbenden Gegner und schlug auf die Pflanzenstränge ein, die unter dem scharfen Stahl in Fetzen gingen. Mit wenigen Hieben war de Rozier frei.
»Zieht Euch zurück!«, ächzte Tala außer Atem. »Bringt Euch in Sicherheit,
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