223 oder das Faustpfand - ein Kriminalfall
Panzergräben am so genannten Südostwall eingesetzt, unter unvorstellbaren Bedingungen, und jetzt, wo der Südostwall gefallen ist und sie die Arbeitsdienstler nicht mehr brauchen, treiben sie sie nach Linz, eigentlich nach Mauthausen, an einen Ort zum Verhungern, Mauthausen ist doch nur ein Ort zum Verhungern. In Zeiten wie diesen, denkt der Vertreter aus Törkökszentmiklos, ist es für einen Juden die einzige Überlebensgarantie, gebraucht zu werden, von den Herrenmenschen als Arbeitssklave gebraucht zu werden. So gesehen ist Bèla Berger fast froh über den Arbeitseinsatz, der offenbar heute und hier im kalten, nächtlichen Nieselregen beginnt, wenn er sich auch Sorgen macht, ob er mit seinen 54 Jahren das Schanzen lange wird durchstehen können. Und das in seiner jämmerlichen Adjustierung und bei ungewisser Verpflegung. Aber besser in diesen verdammten Gräben herumschaufeln, als den Herrenmenschen in diesem Lager als unnützer Esser aufzufallen. Man weiß ja nie, auf was für Gedanken die kommen. Und weil es jetzt mit ihnen rapide bergab geht, überlegt Bèla Berger, sind die noch unberechenbarer.
8 der SS-ler haben ihre Adjustierung verbessert und militärische Zeltbahnen umgelegt, ihre Karabiner und Maschinenpistolen tragen sie aber über dem Regenschutz in den Fäusten. Ein bisschen beneidet sie Bèla Berger, nicht um die Waffen, aber um die Zeltbahnen. Die Soldaten flankieren die angetretenen, verschreckten Juden links und rechts. Ein PKW, ein großer, geschlossener Horch, steht mit laufendem Motor und eingeschalteten Scheinwerfern hinter der ganzen Versammlung. Ein weiterer Personenwagen vor ihnen Richtung Lagereingang, ein ebenfalls geschlossener Opel, setzt sich mit einem Mal im Schritttempo in Bewegung, und die SS-Eskorte drängt die 65 Männer energisch, dem Fahrzeug zu folgen.
Ich wusste es doch, flucht Bèla Berger innerlich, dass uns die Schweinhunde heute noch in die Panzergräben treiben und die ganze Nacht schaufeln lassen werden, noch dazu im Regen. Diese Dreckskerle lügen, wenn sie nur den Mund aufmachen! Zum Glück hat sich Albert Klein etwas erholt, bemerkt Berger. Er kann irgendwie stehen, ja sogar gehen, wenn auch schleppend und nur, weil er von Pál Feldmesser gestützt wird.
Die Sache mit der Namensliste, denkt Bèla Berger, hat sich ja auch bemerkenswert schnell erledigt. Mehr als dass einer von ihnen, irgendein Scharführer, mit ein paar Blättern Papier in der Luft herumgefuchtelt hat, war es nicht. Nach 12, 15 aufgerufenen Namen ist auch schon Schluss gewesen; dem Truppführer ist das ganze Prozedere offenbar zu langsam gegangen. Die Deutschen sind zwar Bürokraten durch und durch, denkt Bèla Berger, aber jetzt, wo ihnen das Wasser bis zum Hals steht, sind ihnen Panzergräben doch ein wenig wichtiger als ihre gottverdammten Listen.
Die Marschkolonne, angeführt von dem im Schritttempo dahinfahrenden Opel und dem Horch als Nachhut, verlässt um zirka 11 Uhr nachts das Lager Richtung Westen. Hoffentlich treiben sie uns jetzt nicht bis nach Grein oder gar nach Linz, denkt Dezsö Stern, ein 30-jähriger Gelegenheitsarbeiter aus Dunaszadahely, das würden einige von uns sicherlich nicht überleben. Die meisten Zwangsarbeiter haben Bündel mit ihren letzten Habseligkeiten, der letzten Decke, dem letzten Hemd, Toilettsachen, Besteck und Sonstigem, über ihre Schultern gelegt, man kann nicht abschätzen, ob man je wieder zurückkommt. Aber wer weiß, überlegt Dezsö Stern weiter, vielleicht sind die Amerikaner schon in Linz, in Mauthausen, und diese Kerle, die es bestimmt nicht an die Front drängt, wissen das und treiben uns wirklich nur zum Schanzen weg, in irgendwelche Panzergräben außerhalb des Ortes. Hinter sich spürt er die hohen Mauern von Schloss Persenbeug. Das breite Flussband der Donau, das sich linker Hand von ihm befindet, kann er in der samtschwarzen Dunkelheit nicht erkennen. Die Scheinwerfer des hinteren Wagens beleuchten nicht viel mehr als die Landstraße mit den Marschierenden, den Gefangenen und den Wachen und das Straßenbankett. Nach einer scharfen Kurve, einer Wende Richtung Norden, steigt die schmale Straße, eigentlich nicht viel mehr als ein besserer Feldweg, stark an. Es geht den Priel hinauf, auch wenn Dezsö Stern den Namen dieses kleinen Teils der Böhmischen Masse, der ein paar Rotten von Bauerngehöften, eine Gemeinde namens Hofamt Priel, Wiesen, Felder und Wälder auf seinem Buckel trägt und nicht sehr steil, aber auch nicht gerade sanft zum
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