2268 - Das Paragonkreuz
Schwestern des Prinzen, die ganze dreizehnköpfige Königsfamilie, war der Größte und Stärkste von allen. Sein fünf Tabtreelängen durchmessender, ledrig glänzender brauner Körper war zu seiner ganzen Kugelgröße prall aufgebläht. Die sanften Winde zerrten schon an ihm, doch Mago klammerte sich wie seine fünf Artgenossen mit den Tentakelenden an den in den Boden geschlagenen Pfählen fest und wartete, während die Kinder der Stadt ihn noch fütterten, so, wie es Brauch war. „Priester", drang des Prinzen Stimme in seine Gedanken. „Stimmt etwas nicht? Du solltest dich mit uns freuen, aber du machst ein Gesicht wie vor einem Unwetter."
Ein Unwetter, ja, dachte Sonder fan Dor. Ein Unwetter sollte hereinbrechen und Scherydann unter Wasser setzen. Donner und Blitz sollten über uns hereinbrechen und den Flug verhindern!
Aber die Sonne schien, und der Himmel war blau. Sonder fan Dor sah die bittend ausgestreckten Hände des jungen Prinzen und den Blick der ganz in feuriges Rot gekleideten Prinzessin, auf deren Stirn und an deren schlankem Hals kostbare Steine funkelten. Rot... rot wie das Blut... „Priester!"
Fan Dor wurde endgültig in die Wirklichkeit zurückgeholt und tat, was er tun musste.
Er reichte Ahber fan Var die Ikone, doch seine alten Hände zitterten dabei.
Er hätte am liebsten laut geschrien und sie ihm wieder aus der Hand gerissen, aber es war schon zu spät. Der Prinz und seine engelsgleiche Prinzessin waren schon auf dem Weg zu ihrem wartenden Trawinder. Die blumengeschmückten Kinder der Stadt zogen sich langsam zurück und bückten sich nach den Kostbarkeiten, die die Prinzessin ihnen zuwarf.
Ein Raunen ging durch die versammelte Menge, als Ahber fan Var und Miri fan Sho die drei Stufen der Treppe hinaufstiegen, die in die halb mit Seilen am bunten Geschirr des Trawinders befestigte, halb von seinen Tentakeln gehaltene Gondel führte. Wenn sie zurückkehrten, würden sie König und Königin sein. So war es der Brauch, so war es immer gewesen, solange die Überlieferungen der Stämme zurückreichten.
Heute nicht!, dachte der Priester. Noch einmal wollte er schreien, ihnen zurufen, dass sie nicht abheben durften, nicht an diesem Tag, für den er furchtbares Unheil vorhersah, doch seine Kehle war wie zugeschnürt. Er brachte kein Wort heraus, nicht einmal ein verzweifeltes Krächzen. Und dann war es zu spät. Die Brüder und Schwestern der Frischvermählten, der ganze königliche Hofstaat, befanden sich an Bord der Gondel, und Prinz Ahber gab das Zeichen. Kräftige Männer eilten herbei und lösten die Seile von den Pflöcken. Die Tentakel des Trawinders wickelten sich los und schlössen sich ebenfalls um den Korb. Der Ballonkörper schien noch einmal zu wachsen und noch mehr leichte Luft in seinem Innern zu erzeugen. Dann begann er zu steigen. „Priester", sagte die Stimme eines .Knaben. „Es wird auch für uns Zeit." ,Sonder fan Dor drehte den Kopf und erkannte Shawann, seinen jüngsten und meistversprechenden Schüler. Er nickte müde. Sein Haupt war schwer. Dann gab er sich einen Ruck und stieg die Stufen des Tempels hinab. Mit schweren Schritten ging er auf einen der fünf wartenden Trawinder zu, die Mago in gebührendem Abstand folgen würden. Auch dies gehörte zum Brauch. Sie waren nur zwei Drittel so groß wie Mago und nicht ganz so prächtig geschmückt. „Allmutter Andaxi", murmelte der Priester, als er sich in den Korb helfen ließ, „bitte vergib deinem unwürdigen Diener. Und mögest du dich geirrt haben - nur dieses eine Mal."
Scherydann lag am östlichen Ufer des mächtigen Flusses Tirr, der sich einen halben Tagesflug lang bis zum großen Binnenmeer Achylann hinzog, hinter dem der Treyf olken der Tabtree von Mennygenn begann. Jedes Jahr nach der Erntezeit kam ein Schiff mit prächtigen Segeln von Mennygenn, und es gab eine große Feier. Es wurde getauscht, getrunken und an den Feuern gesungen. Die Tabtree von Scherydann lebten in Frieden und Freundschaft mit ihren Nachbarn. Jeder war ihnen willkommen.
Das war schon immer so gewesen, bis auf eine Ausnahme.
Jenseits des Flusses stieg das grüne Waldland leicht bergig an, bis hin zu den Gipfeln, auf deren höchstem sich die FESTUNG befand - ein unheiliger Ort, der von den Tabtree gemieden wurde.
Ab und zu sahen sie aus ihrer Stadt in der Nacht helle Sterne von dort in den Himmel steigen und zwischen den anderen Sternen verschwinden, oder Lichter fielen vom Himmel und landeten dort. Manchmal kam es^ vor, dass
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