2274 - Motoklon Hundertneun
sie meist nutzten, hohle Stimmen von Kybb-Giraxx und Kybb-Traken zu hören. Tausende von Wesen mussten mittlerweile die Katakomben und Gänge durchsuchen, von den Dunklen Polizisten in einen Frondienst gezwungen.
Doch sie waren einfallslos. Sie besaßen weder die geistigen Kapazitäten Hundertneuns noch die Raffinesse der unsterblichen Schildwache.
Die anderen Motoklone waren wohl nach wie vor an ihren Kontrollpunkten versammelt. Wer auch immer das Kommando über die Suchaktion besaß - er wagte es nicht, die Echsenmänner für den Dienst freizugeben, bevor sie nicht Stück für Stück untersucht und getestet worden waren. „Sie berauben sich selbst ihrer stärksten Waffe", meinte Lyressea lächelnd. „Ein Hoch auf Paranoia und Verfolgungswahn!"
„Es wird dennoch Zeit, dass wir wieder etwas ... Unvorhergesehenes unternehmen", sagte Hundertneun. „Ich erkenne am gezielteren Vorgehen der Truppen, dass sie uns allmählich umzingeln."
Echolot, Infrarot-Ortungen, Normalfunk und sein nach wie vor feines Gehör ermöglichten ihm jederzeit, Schemata ihrer Situation zu fertigen.
Es wurde in der Tat eng. Die Kybb krochen oder gingen auf allen Ebenen in ihre Richtung. „Wie weit schätzt du die Entfernung zu BLENDE-NULL?", fragte Lyressea. „Zweihundertundzwanzig Kilometer Luftlinie", antwortete er. „Es gibt zwei Möglichkeiten", sagte sie schleppend. „Entweder weiter nach unten oder nach ..."
„Ich orte einen größeren Hohlraum!", unterbrach Hundertneun.
Er war einfach da, ganz plötzlich, wie von seinen Prozessoren eben erst eingeblendet. Mehr als einen Kilometer breit und tief. Ganz nahe. „Eine subplanetarische Halle", sagte er laut, „von der ich nichts weiß!"
„Was soll das heißen?", wunderte sich die Mediale Schildwache. „Ich dachte, du kennst dieses Labyrinth in- und auswendig?"
Wie sollte er es ihr erklären? Dieser Ort hier, er war eben erst in sein Bewusstsein gelangt, als sei er bislang hinier einem Schirm verborgen gewesen. Es musste sich um eine Art blinden Fleck handeln.
Einen eng begrenzten Bereich, der aus seinen Erinnerungsroutinen ausgespart worden war.
Hundertneun konnte ihr keine rationale Antwort geben - also schwieg er.
Wiederum erkannte er Anzeichen von Misstrauen an Lyresseas Körperhaltung und Physiognomie. Aber die Mediale Schildwache drang nicht weiter in ihn. Pragmatisch, wie sie war, befahl sie: „Führ mich zu dieser Halle!"
Hundertneun orientierte sich, versuchte den blinden Fleck zu fixieren, der flackerte und sich immer wieder nur kurz in seinen Berechnungen festhalten ließ. Schließlich, nach zwei endlos scheinenden Sekunden, hatte er einen Zugangsweg gefunden.
Er nahm die Frau mit einer Hand an der Hüfte, unendlich vorsichtig, und presste sie wie schon oftmals zuvor gegen seinen Leib. Dann rutschte er durch eine Klimaröhre hinab, krallte sich an einem Quersteg fest. Der Motoklon kletterte bis zu einem kleinen Verteilerknoten schräg aufwärts, durchwatete eine Kloake, bog in einen schmalen Stichstollen ein. Archaisch anmutende Stufenstockwerke führten erneut nach oben.
Hier war kaum ein Licht. Die Luft roch ... muffig, wie die Organischen sagten, und irgendwo tropfte Wasser auf die Stufen herab.
Dieser Gang war zweifelsfrei seit Jahrtausenden nicht mehr gewartet oder begangen worden.
Er ließ Lyressea los. Nun ging es ohne Probleme vorwärts beziehungsweise aufwärts. Die Frau marschierte vorneweg, nahm leise eine Stufe nach der anderen.
Nach hundertfünfzig Metern endete der Gang. Die Wandung eines verschlossenen, zweigeteilten Tores erwartete sie. „Kannst du es öffnen?", fragte die Schildwache.
Rechts befand sich eines der üblichen Befehlsfelder unter einem Glassturz. Nur die leicht ovale Form und die etwas größeren Abmessungen wiesen darauf hin, dass es alt sein musste. Älter noch als die Containerstraßen.
Hundertneun tippte seinen persönlichen Kode ein. Nichts.
Er versuchte es erneut, benutzte eine Variante, die ein größeres Risiko einer Enttarnung barg, indem er seine Identifikationsnummer bekannt gab.
Nichts tat sich. „Soll ich es mit Gewalt versuchen?", „Ja."
Hundertneun trat fünf Schritte zurück, stemmte sich gegen den steinernen Boden und stürmte los, warf sich mit Schulter und Kopf gegen das Tor. Er prallte mit einer Wucht auf, die nahezu jener eines Kybb-SPORNS entsprach -und bewirkte nichts.
Lyressea hielt sich schmerzverzerrt die Ohren zu, wohl von den vielfältig widerhallenden Echos geplagt. Staub rieselte aus
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