229 - Flashback
das Wort. »Nach dem EMP setzte das große Sterben ein. Sie wissen doch von dem EMP?«
Miki schwieg wieder einige Sekunden, dann nickte er. »Nur zu gut. Er hat mich fast zwei Jahre lang ruhig gestellt. Ich bin erst vor kurzem wieder erwacht, als der Impuls plötzlich endete, und habe mich sofort auf den Weg hierher gemacht.«
»Ich denke, wir werden unsere jeweiligen Geschichten sehr interessant finden. Doch ich schlage vor, dass wir uns woanders unterhalten.« Hana Kusakabe wies über ihre Schulter zurück. »Kommen Sie mit in unseren Unterschlupf? Da ist es gemütlicher.«
Takeo nickte stumm. Er verarbeitete noch immer die so beiläufig gemachte Feststellung. Zwei Überlebende. Von ein paar Hundert!
Sie verließen den Hangar mit den Fertigungsanlagen für Plysterox-Glieder und gingen wieder in Richtung des Verwaltungsgebäudes. Daneben hatten sich schon immer einige Quartierbaracken befunden. Hana und Kenzo steuerten eine davon an, die sie offenbar gemeinsam bewohnten. Takeo registrierte, dass Hana während des ganzen Weges von zweihundertsiebenunddreißig Komma sieben Metern redete wie ein Wasserfall. Offenbar war sie aufgeregt und hatte – natürlich! – nicht mehr damit gerechnet, noch auf jemanden zu treffen, der… ja, zu ihnen gehörte.
»Es tut gut zu sehen, dass außer uns noch jemand aus der Enklave überlebt hat. Es war schrecklich, all die anderen zu begraben! Viele gleich nach dem EMP, andere erst Wochen und Monate später, als sich das Fleisch um ihre unnütz gewordenen Bauteile entzündete oder nicht mehr unterstützte Organe versagten. Wir beide«, sie sah zu Kenzo, »waren die Jüngsten, und unsere bionischen Bauteile betrafen noch keine lebenswichtigen Bereiche.«
Sie öffnete die Tür der Baracke und bat Miki herein. Er musste sich bücken, um einzutreten, und sah sich um. Die beiden hatten es sich hier so gemütlich wie möglich gemacht. Er sah Gegenstände, von denen er wusste, dass sie vorher anderen Cyborgs gehört hatten – Fotos, die nach seiner Erinnerung in anderen Zimmern gehangen hatten, sogar einen Zettel, den Naoki beschrieben hatte; er erkannte ihre Handschrift, die nach dem Austausch ihres natürlichen Arms gestochen scharf und präzise geworden war.
Beim Gedanken an seine ehemalige Geliebte und Aikos Mutter spürte er eine leichte Wehmut, tief drin in dem emotionalen Überbleibsel seiner vergangenen Menschlichkeit.
Er berichtete Kenzo Yakamura und Hana Kusakabe von der Atombombenkette am Kratersee, und dass der Kampf der Allianz gegen die Daa’muren dank dem Verrat des Weltrat-Präsidenten in einem Fiasko geendet hatte. Was auch immer die Daa’muren mit der Bombenkette bezweckt hatten – das Ergebnis war der weltumspannende EMP gewesen, der so viele Leben gekostet hatte und ihn selbst nur deshalb nicht umbringen konnte, weil seine sämtlichen organischen Teile durch künstliche ersetzt worden waren.
Miki Takeo war sich natürlich darüber im Klaren, dass der Impuls und der lange Ausfall sämtlicher Elektronik auch auf der restlichen Welt furchtbare Konsequenzen gezeitigt haben musste. Bei den Bunkerzivilisationen zum Beispiel. Wie viele Menschen waren erst gar nicht mehr an die Oberfläche gelangt, weil sich ihre automatischen Türen nicht mehr öffnen ließen? Wie viele waren qualvoll verendet, weil kein Immunserum mehr produziert werden konnte?
Und doch gab es Hoffnung neben all dem Leid. Takeo betrachtete die beiden Menschen, die sehr liebevoll miteinander umzugehen schienen, und fühlte sich an eine alte griechische Sage erinnert, die von Philemon und Baucis berichtete, einem alten Ehepaar, das als einziges die Sintflut überlebt hatte.
Hana stand am Herd und goss eine Kanne Tee auf. Dann humpelte sie herüber und setzte sich auf einen Sessel. Ihre Augen waren feucht und leicht gerötet. Ihre Körpertemperatur war leicht erhöht, wie Takeo feststellte. Wurde sie von düsteren Erinnerungen heimgesucht?
»Natürlich wurden auch unsere biologischen Körper durch den Ausfall kontaminiert«, sagte sie. »Die Immunsupressiva, die eingebauten automatischen Gewebereiniger, das alles konnte nicht mehr funktionieren. Sie wissen ja selbst, wenn wir nicht ständig Mittel dagegen nehmen, wird das Gewebe, das direkt neben einer elektronischen Komponente liegt, leicht nekrotisch. Wir konnten uns ganz ohne Elektronik nicht schnell genug davon befreien.«
»Vielleicht haben Hana und ich auch nur deshalb überlebt«, murmelte Kenzo, »weil wir unter den Ersten waren, denen die
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