23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV
ich Herrlichkeiten rings um mich her, die unbegreiflich sind. Und plötzlich hatte ich Flügel. Ich flog. Wohin? Durch Ewigkeiten! Bis ich müde wurde und nach einem Punkt suchte, an dem ich ruhen könne. Und ich fand ihn, fand ihn wieder, diesen meinen irdischen Ruhepunkt im Reiche der Ewigkeiten. Und wo lag er? Im Schlaf, im tiefen, tiefen Schlaf. Ich neigte mich trotzdem zu ihm nieder und – schlug die Augen auf.
Da stand die Sonne schon in des Vormittags Mitte, und um mich her war alles licht und warm. Das Geräusch des Tages drang zu mir herauf. Ich fühlte mich gekräftigt und so frisch, wie schon seit langer Zeit nicht mehr. Ich stand also auf und ging auf das freie Dach hinaus. Im Hof unten wurden die Kamele des Ustad gesattelt. Ihn selbst sah ich nicht. Links drüben grasten unsere Pferde auf der bergigen Weide, welche an den Komplex der Ruinen grenzte. Der See glänzte azurblau zu mir herauf. Die Bewohner des Duar waren in lebhafter Bewegung natürlich der Reise ihres Ustad wegen. Von meinem Vorplatze führten Stufen hinüber nach dem Glockenweg, welcher, von oben herabkommend, sich bis zur Gartenhöhe niedersenkte, wo die Quelle sprudelte, neben welcher sich der Herr des hohen Hauses eine rundum eingefaßte Badestelle abgeschlossen hatte. Ein solches Bad erschien mir sehr von Nutzen. Darum stieg ich da außen langsam am Berg hinab und fand die Tür zum Wasser geöffnet. Wie das erfrischte, dem Körper doppelte Kraft zu geben schien!
Als ich fertig war, spazierte ich auf dem weichen Gras zu unsern Pferden hin. Welche Freude, als sie mich erkannten! Als ich mich dann wieder entfernte, wollten sie partout mitgehen, und ich hatte ihnen sehr eindringlich zu bedeuten, daß ich dies für jetzt nicht wünsche. Nun durch den Garten nach dem Hof gehend, kam ich an der Küche vorüber. Diese stand offen. Die ‚Festjungfrau‘ sah mich, kam heraus, schlug vor Verwunderung die Hände zusammen, daß es nur so klatschte, und rief:
„Maschallah, du schläfst nicht mehr, Effendi! Das ganze Haus durfte sich nicht laut bewegen, um dich ja nicht zu wecken. Wie hat unser Ustad dich doch gar so lieb!“
„Wo befindet er sich jetzt?“ erkundigte ich mich.
„In seiner Stube.“
„Und Agha Sibil?“
„Der sitzt mit seinem Sohn in der Halle. Ich habe die halbe Nacht hindurch gebacken und gebraten, um Proviant für die Reise nach Isfahan zu machen. Für dich aber habe ich trotzdem immer Zeit. Weißt du, Effendi, um was ich den Ustad gebeten habe, was er mir aus der Hauptstadt mitbringen soll?“
„Nun?“
„Eine Kasawaika (polnischer Ärmelmantel für Frauen)!“
Bei diesem Worte strahlte ihr Gesicht in einer auffälligen, mir krankhaft scheinenden Wonne.
„Eine Kasawaika“, fragte ich, „woher kennst du das? So etwas wird doch hier gar nicht getragen!“
„Ich habe es gesehen, als ich noch beim Schah-in-Schah mit kochte. Die russischen Madama hatten es. Ich muß so eine haben! Rot und blau, grün und gelb. Das sieht so schön aus im Fackellicht.“
„Fackellicht? Hm! Ich denke, du gehst stets weiß?“
Da kam sie die Stufen vollends herab, trat nahe zu mir heran, legte das fette Händchen auf meinen Arm und sagte in ehrfurchtsvoller Duzbrüderlichkeit:
„Ja, immer weiß! Zuweilen aber auch bunt, ganz bunt! Das steht mir besser, viel besser! Der Aschyk (Geliebter) sagt das auch!“
„Du hast einen Geliebten, Pekala?“
Da errötete sie bis zur Farbe der persischen Mohnblume, nahm einen geheimnisvollen Ton an und raunte mir zu:
„Ich vertraue es nur dir an, Effendi, allein nur dir! Es ist ein tiefes Geheimnis. Ich habe es schon vielen sagen wollen, aber ich fürchte, daß sie es verraten. Du aber hast ein solches Herz voll Freundlichkeit und Güte, daß du es gewiß nicht weiterplaudern wirst. Ein edles Frauenherz muß unbedingt ein edles Männerherz haben, von dem es ganz und gar verstanden wird. Und Tifl ist zwar ein liebes, folgsames Kind, jedoch ein edles Frauenherz, das kann er nicht begreifen!“
Sie schaute so ganz zerflossen und ‚edel‘ zu mir auf, daß sie mir gewiß sehr spaßig vorgekommen wäre, wenn ich nicht das zwar noch unbestimmte, aber doch sehr deutliche Gefühl gehabt hätte, hier vor einer vielleicht sehr wichtigen Entdeckung zu stehen. Psychologisch zweifelhafte Personen sind stets mit Vorsicht zu behandeln. Darum antwortete ich nicht anders als in meiner gewöhnlichen, freundlichen ernsten Weise:
„So sage mir, Pekala, was ein edles Männerherz von dir zu begreifen
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