23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV
sich jeder in seiner besondern Eigenart entwickle. – Du siehst mich staunend an, Effendi. Habe ich etwas Törichtes gesagt?“
„Ich staune, ja; aber aus einem ganz andern Grund, als du denkst. Schakara, ich sage dir: Marah Durimeh ist eine Meisterin! Hat sie noch andere Schülerinnen außer dir?“
„Wer kann das sagen! Sie ist zwar meist verborgen, doch überall geliebt, wo sie erscheint, und jeder lernt von ihr, zu dem sie kommt. Mich aber hat sie einst zu sich geholt; ich war und blieb bei ihr und teilte alles, was sie trug und tat. Sie gab sich wohl mit keiner so viel Mühe wie mit mir, und was ich bin, das habe ich nur ihr allein zu danken.“
„So weiß sie, daß du jetzt hier bei dem Ustad bist?“
„Ja. Ich bin sogar in ihrem Auftrag hergekommen, von dem er allerdings bis jetzt noch nichts erfahren hat. Ich mußte erst studieren.“
„Was oder wen? Darf ich es wissen?“
Da schlug sie ihre klaren Augen groß und voll zu mir auf und antwortete:
„Mir ist, als ob ich vor dir kein Geheimnis haben dürfe, als müsse ich dir alles sagen, was in mir ruht, und auch, was mich bewegt. Drum will ich nicht verschweigen, daß ich den Ustad prüfe; weshalb, wozu, das weiß nur Marah Durimeh. Auch ist die Gegend, wo er wohnt, für mich von Wichtigkeit. Es liegt hier in der Nähe viel begraben, was auferstehen will. Er selbst spricht ja von seiner eignen Gruft, doch ist das wohl nicht richtig. Schau diese Mauern an, die hoch und stark sich hier vor uns erheben, als ob sie Heimlichkeiten zu verbergen hätten, die keines Menschen Auge sehen dürfe! Wer baute dies? Warum in dieser Weise? Aus welchem Grund gab man den Bau nicht völlig erdenfrei? So türmt man doch nur Festungen empor, von welchen aus man blutig herrschen will! Wozu Tyrannensitze für den Vater, der liebend zu den Kindern niedersteigt, wenn im Gebet sie ihn zu sich rufen? Indem ich dieses frage, muß ich an jene alte Sage denken, die von ‚Chodeh, dem Eingemauerten‘ berichtet. Kennst du sie schon, Effendi?“
„Nein.“
„So laß sie dir erzählen!“
Sie schaute zu den Ruinen hinüber, nickte wie unter einem heimlichen Gedanken vor sich hin und begann sodann:
„Das war zu jener Zeit, als der Teufel auf den Gedanken kam, Baumeister zu werden. Er zeichnete viele tausend Pläne, aber keiner war ihm fromm genug. Da sah er ein, daß man jedes Fach, also auch dieses, erst nach und nach zu erlernen habe, und beschloß darum, zu den Menschen in die Schule zu gehen. Da er von unten zu beginnen hatte, so begab er sich zunächst zu einem Volk, welches nur auf Felsen baute. Als seine Zeit bei diesem vorüber war, suchte er ein anderes auf, welches ungeheure Steine aus dem Felsen brach, um sie zu Mauern aufeinanderzutürmen. Bei einem dritten Volk lernte er Ziegel streichen und mit Asphalt zu Gebäuden vereinigen, die von scheinbar ewiger Dauer waren. Bei einem vierten richtete er sich auf riesenhafte Pfeiler und Säulen ein, welche selbst unter den schwersten Lasten nicht zusammenbrachen. Bei einem fünften hörte er zum erstenmal von Schönheit sprechen. Die Säulen bekamen freundlichere Gestalt, und die bisher platten Dächer hoben sich empor. Beim sechsten kam der Schmuck dazu und das Bedürfnis, Licht im Raum zu haben. Ein siebentes sah auf die äußere Gestalt und forderte für jedes Bauwerk andre Formen. So legte er sich also auf den ‚Stil‘ und weiter noch auf alles, was sonst noch nötig war. Und als er dann vor seiner Meisterprüfung stand, an was für Bauten hatte er, der Teufel, sich geübt? Was glaubst du wohl, Effendi?“
„Erlaube mir, zu hören, nicht zu raten!“ antwortete ich.
„An lauter frommen Werken, die nur zur Ehre dessen errichtet worden waren, für den der Teufel nichts als Haß besitzt. Zwar hatte wohl auch er die Frömmigkeit gewollt, denn fromm erscheinen, fördert selbst den Teufel, doch wirklich fromm zu sein, daran geht er zugrunde. Drum war sein Haß jetzt gar zum Grimm, zur stillen Wut geworden, weil alle diese Bauten der Wahrheit dienten aber nicht dem Schein, und er beschloß, in seinem Meisterstück ein Werk zu schaffen, bei welchem alles Schein, nichts aber Wahrheit sei. Er ging in jenes Felsenland zurück, wo er die Lehre einst begonnen hatte, denn dort war Gott ein lieber Himmelsgast und ließ sich oft bei seinen Menschen nieder. Er saß so gern bei ihnen, licht und hehr, im offenen Alabasterberg sich seiner Sonne freuend. Da kamen sie herbei, die er geschaffen, sie alle, groß und klein, von seiner
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