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23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)

23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)

Titel: 23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ha-Joon Chang
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die USA hätten einen höheren Lebensstandard als europäische Länder.
    In Genf würde man für eine acht Kilometer lange Taxifahrt vielleicht 35 Schweizer Franken bezahlen, während die gleiche Strecke in Boston nur etwa 15 Dollar kostet. In Oslo zahlt man für ein Abendessen 550 Kronen – oder 100 Dollar -, in Saint Louis wahrscheinlich nicht mehr als 50 Dollar – oder 275 Kronen. Das Umgekehrte ist der Fall, wenn man seine Dollars im Urlaub in thailändische Baht oder mexikanische Pesos umtauscht. Wenn man sich die sechste Rückenmassage in derselben Woche gönnt oder den dritten Marguerita vor dem Abendessen bestellt, kommt es einem vor, als wären aus 100 Dollar plötzlich 200 oder 300 Dollar geworden (oder liegt das dann am Alkohol?). Wenn Devisenkurse die unterschiedlichen Lebensstandards in verschiedenen Ländern tatsächlich akkurat widerspiegelten, dürften solche Sachen gar nicht passieren.
    Warum aber gibt es derart riesige Unterschiede, was man mit der theoretisch gleichen Summe Geldes in verschiedenen Ländern kaufen kann? Solche Unterschiede entstehen vor allem deshalb, weil Umtauschkurse zum großen Teil von der Nachfrage nach international gehandelten Gütern und Dienstleistungen bestimmt werden (wenngleich auch Devisenspekulationen kurzfristig die Wechselkurse beeinflussen können). Die Kaufkraft einer bestimmten Summe in einem bestimmten Land richtet sich hingegen nach den Preisen aller Waren und Dienstleistungen und nicht nur nach denen der international gehandelten.
    Die wichtigsten unter den nichtgehandelten Dingen sind die sogenannten personenbezogenen Dienstleistungen, etwa Taxifahrten oder die Bedienung im Restaurant. Handel in diesen Bereichen erfordert internationale Migration, doch wird diese durch Einwanderungsbeschränkungen stark begrenzt, sodass die Preise für solche Dienstleistungen in verschiedenen Ländern am Ende ganz unterschiedlich ausfallen (siehe Nr. 3 und 9). Mit anderen Worten: Taxifahrten oder Mahlzeiten sind in Ländern wie der Schweiz und Norwegen deshalb so teuer, weil die Arbeitskräfte dort teuer sind. In Ländern mit billigen Arbeitskräften – in Mexiko und Thailand etwa – sind sie hingegen billig. Wenn man international gehandelte Waren wie Fernseher oder Mobiltelefone betrachtet, ist der Preis in allen Ländern, ob arm oder reich, ungefähr der gleiche.
    Um den unterschiedlichen Preisen nicht international gehandelter Waren und Dienstleistungen in verschiedenen Ländern Rechnung zu tragen, haben Wirtschaftswissenschaftler den sogenannten »internationalen Dollar« ersonnen. Diese fiktive Währung basiert auf dem Gedanken der Kaufkraftparität (KKP) – der Wert einer Währung wird daran gemessen, wie viel von einem Konsumgüterkorb man in verschiedenen Ländern damit kaufen kann – und gestattet es, aus den Einkommen verschiedener Länder einen allgemeinen Maßstab für den Lebensstandard zu bilden.
    Wenn man die Einkommen verschiedener Länder in den internationalen Dollar umrechnet, führt dies in der Regel dazu, dass die Einkommen reicher Länder unter ihre auf Devisenkursen basierenden Einkommen fallen, während die errechneten Einkommen ärmerer Länder ansteigen. Dies liegt daran, dass ein Großteil unseres Konsums aus Dienstleistungen besteht, die in reichen Ländern wesentlich teurer sind. In einigen Fällen ist die Differenz zwischen dem nach Devisenkurs und dem nach Kaufkraftparität berechneten Einkommen nicht besonders groß. Nach Angaben der Weltbank belief sich das Devisenkurseinkommen in den USA 2007 auf 46 040 Dollar, während das nach Kaufkraftparität berechnete Einkommen mit 45 850 mehr oder weniger das gleiche war. Im Fall von Deutschland war der Unterschied größer: nämlich 38 860 und 33 820 Dollar (das ergibt einen 15-prozentigen Unterschied, wenn man die beiden Zahlen auch nicht so direkt miteinander vergleichen kann). Im Fall Dänemarks belief sich der Unterschied auf beinahe 50 Prozent (54 910 und 36 740 Dollar). Im Gegensatz dazu wird das chinesische Durchschnittseinkommen von 2360 auf 5370 Dollar mehr als verdoppelt und das indische von 950 auf 2740 Dollar fast verdreifacht, wenn man eine Berechnung nach Kaufkraftparität anstellt.
    Die Umrechnung einer Währung in den fiktiven internationalen Dollar ist freilich keine ganz saubere Sache, nicht zuletzt deshalb, weil dafür vorausgesetzt werden müsste, dass alle Länder denselben Warenkorb konsumieren, was ganz sicher nicht zutrifft. Dies bewirkt, dass die kaufkraftparitätischen

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