23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)
sondern hoch spezialisierte Produkte etwa im Bereich Maschinenbau und Industriechemikalien. Doch pro Kopf hat die Schweiz den höchsten industriellen Output der Welt. Je nach Jahr und Quelle steht sie hinter Japan auf dem zweiten Platz. Auch Singapur gehörte zu den fünf am stärksten industrialisierten Volkswirtschaften der Welt, wieder gemessen an der industriellen Wertschöpfung pro Kopf. Finnland und Schweden machen die Riege der führenden fünf komplett. Abgesehen von Ausnahmen wie den Seychellen, die eine sehr kleine Bevölkerung und außergewöhnliche Tourismusressourcen haben (85 000 Einwohner mit einem Pro-Kopf-Einkommen von etwa 9000 Dollar), hat bisher kein Land nur durch Dienstleistungen einen bescheidenen, geschweige denn einen hohen Lebensstandard erreicht, und das wird sich auch nicht ändern.
Als Fazit kann man sagen, dass man nicht einmal die reichen Länder eindeutig als postindustriell bezeichnen kann. Zwar arbeiten die meisten Menschen in diesen Ländern nicht mehr in Fabriken, doch die Bedeutung des Industriesektors ist unter Berücksichtigung der relativen Preiseffekte nicht erheblich gesunken. Die Deindustrialisierung kann, muss jedoch nicht ein Symptom des industriellen Niedergangs sein. Jedenfalls aber wirkt sie sich langfristig negativ auf das Produktivitätswachstum und die Zahlungsbilanz aus, die beide zu berücksichtigen sind. Der Mythos, wir lebten in einem postindustriellen Zeitalter, hat viele Regierungen dazu verführt, die negativen Folgen der Deindustrialisierung außer Acht zu lassen.
Was die Entwicklungsländer angeht, so ist es ein Irrglaube, dass sie die Industrialisierung überspringen und mit Dienstleistungen Wohlstand erwerben könnten. Die meisten Dienstleistungen verzeichnen nur ein langsames Produktivitätswachstum, und diejenigen, deren Produktivität schnell wächst, können nur auf der Basis eines starken Industriesektors entwickelt werden. Aufgrund der geringen Marktfähigkeit von Dienstleistungen gerät ein Entwicklungsland, das sich darauf spezialisiert, in Zahlungsbilanzschwierigkeiten und tut sich daher schwer, seine Wirtschaft zu modernisieren. Postindustrielle Phantasien sind für reiche Länder schon problematisch, doch für Entwicklungsländer bergen sie unverantwortliche Risiken.
Zehn: Die Vereinigten Staaten haben nicht den höchsten Lebensstandard der Welt.
Was sie uns erzählen
Trotz jüngster wirtschaftlicher Probleme genießen die Vereinigten Staaten von Amerika immer noch den höchsten Lebensstandard weltweit. Im direkten Vergleich gibt es zwar einige Länder mit einem höheren Pro-Kopf-Einkommen. Wenn man jedoch in Betracht zieht, dass für derselben Dollar (oder eine beliebige andere Währung) in den USA mehr Waren und Dienstleistungen verfügbar sind als in anderen reichen Ländern, stellt man fest, dass die USA den höchsten Lebensstandard der Welt haben – einmal abgesehen von dem kleinen Stadtstaat Luxemburg. Dies ist der Grund, warum andere Länder versuchen, es den Vereinigten Staaten gleichzutun. Es zeigt die Überlegenheit der freien Marktwirtschaft, eines Systems, das die Vereinigten Staaten konsequenter (wenn auch nicht vollständig) als alle anderen umgesetzt haben.
Was sie uns verschweigen
Der Durchschnittsbürger in den USA verfügt über mehr Waren und Dienstleistungen als die Bürger sämtlicher anderen Staaten dieser Welt, Luxemburg ausgenommen. Angesichts der großen Ungleichheit, die im Land herrscht, lässt sich die tatsächliche Lebensqualität der Menschen an diesem Durchschnittswert jedoch weniger gut ablesen als an den Zahlen anderer Länder mit einer gerechteren Einkommensverteilung. Diese Ungleichheit ist auch Ursache für die vergleichsweise schlechten Gesundheitsindikatoren und die hohe Kriminalitätsrate in den USA. Darüber hinaus gibt es für den Dollar in den USA hauptsächlich nur deshalb mehr als in anderen reichen Ländern, weil die Dienstleistungen in den Staaten dank höherer Immigration und schlechterer Arbeitsbedingungen billiger sind als in anderen vergleichbaren Ländern. Zudem arbeiten Amerikaner bedeutend länger als Europäer. Umgerechnet auf die Arbeitsstunde verfügen sie über weniger Waren und Dienstleistungen als viele Europäer. Man kann sich zwar darüber streiten, welches der bessere Lebensstil ist – mehr materielle Güter und weniger Freizeit (wie in den USA) oder weniger materielle Güter und mehr Freizeit (wie in Europa) -, doch deutet dies insgesamt darauf hin, dass die USA nicht
Weitere Kostenlose Bücher