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23 Uhr, York Avenue

23 Uhr, York Avenue

Titel: 23 Uhr, York Avenue Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Sanders
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»Socks«, und der Mann am Fenster drehte sich um. Und dann ging der Mann, der eben hereingekommen war, auf ihn zu und feuerte zwei Schüsse auf ihn ab. Ich konnte sehen, wie die Kugeln eindrangen. Sie zupften an seinem Jackett. Ich glaube, er schoß ihn in den Magen und in den Brustkorb. So sah es für mich jedenfalls aus, als die Projektile einschlugen. Der Mann am Fenster ließ seine eigene Waffe fallen und ging zu Boden. Er sank sehr langsam in sich zusammen. Und dann verkrallte er sich auch noch in die Vorhänge neben dem Fenster und zerrte einen Vorhang und die Vorhangstange mit sich zu Boden. Ich glaube, er sagte: »Was?« - oder vielleicht war es auch etwas anderes. Es klang wie »Wa« oder »Wapp« oder so ähnlich. Dann lag er auf dem Boden, und dieser kastanienbraune Vorhang war auf ihn heruntergeflattert, und der Mann blutete und wand sich zuckend und verkrampft auf dem Teppich hin und her. Jesus …
    Frage: Wollen wir nicht eine kleine Pause einlegen, Mr. Bingham, ein paar Minuten Pause machen?
    Bingham: Nein. Es ist nichts. Und dann wurde meiner Frau übel; sie erbrach sich. Und die eine alte Dame von gegenüber fiel in Ohnmacht, und die andere kreischte, und die beiden Homos, die ich nicht kannte und noch nie gesehen hatte, umarmten einander wie verrückt, und Dr. Rubicoff sah drein, als hätte man ihm mit einem Knüppel auf den Kopf geschlagen. Heiliger Gott im Himmel, was war das nur für ein Augenblick!
    Frage: Und was tat der Mörder anschließend?
    Bingham: Er betrachtete den Mann auf dem Boden - ganz kurz, nur eine Sekunde lang. Dann steckte er den Revolver wieder in die Tasche, machte kehrt und ging aus der Wohnung. Ich sah ihn nie wieder. Es mutet seltsam an, ihn einen Mörder zu nennen.
    Frage: Aber er war doch ein Mörder - oder nicht?
    Bingham: Natürlich. Aber in jenem Augenblick hatte ich das Gefühl, er sei ein Henker. Wirklich, genau dieses Gefühl kam in mir hoch - dieser Mann ist ein Scharfrichter, der seine Arbeit tut.
    Frage: Was geschah als nächstes?
    Bingham: Als er fortgegangen war? Dr. Rubicoff ging hinüber und kniete sich neben den Mann, der niedergeschossen worden war, und untersuchte seine Wunden und fühlte ihm den Puls. »Er lebt«, sagte er, »aber nicht mehr lang. Es steht sehr schlimm um ihn.«
    Frage: Danke sehr, Mr. Bingham.
    Bingham: Gern geschehen.

84
    Aufnahme NYPD-SIS-Nr. 146-83 C.
    Haskins: Es war 'n ganzes Leben, 'ne Ewigkeit! All der Krawall und diese Schüsse und dieses Durcheinander. Aber ich tat, was Duke mir geflüstert hatte, und blieb dort stehen, auf dem Treppenabsatz im zweiten Stock.
    Frage: Und Sie vertrauten ihm?
    Haskins: Aber selbstredend, du Dummerchen! Wenn man 'nem Mann wie Duke nimmer vertrauen kann, wem kann man dann überhaupt noch vertrauen? Und so kam er natürlich wieder 'runter aus dem vierten Stock, und ich hatte auch bombensicher gewußt, er würd' wiederkommen, und er sagte zu mir: »Nimm jetzt mal lieber deine Maske ab, streck deine Pfötchen hoch, und geh ganz langsam 'runter und zum vorderen Eingang 'raus.«
    Frage: Warum haben Sie das nicht getan? Es war ein guter Rat.
    Haskins: Das weiß ich ja. 's war 'n guter Rat. Das hab' ich auch damals schon gewußt. Aber ich kann dir nicht erklären, was für Gefühle dieser Mann namens Anderson in mir locker machte, wie mir zumute war. Er ließ mich alle Vorsicht vergessen. Wenn ich seine Stimme hörte, war ich auch schon bereit, was zu riskieren. Verstehst du das?
    Frage: Ich fürchte nein. Was war los mit Ihnen?
    Haskins: Oh, Tommy, Tommy - er machte mir Mumm in den Eiern! Na schön, ich rührte mich jedenfalls kein bißchen, und als er das spitzkriegte, da könnt' ich ihn grinsen sehen, und er sagte: »Los, 'raus nach hinten.« Also zogen wir unsere Masken und Handschuhe aus, flitzten die Treppe 'runter, 'raus durch den Dienstboteneingang, fingen an, die hintere Hausmauer hochzuklettern … und plötzlich gab's da achtzehn Millionen Kittchenaufseher um uns 'rum, Scheinwerfer und Blitzlichter knallten uns mit hunderttausend Watt in die Fresse, Kanonen und Gewehre ballerten auf uns los, und dann hatte ich meine Hände auch schon in der Luft, so hoch, wie's nur ging, und ich schrie: »Ich ergeb' mich! Ich ergeb' mich!« Oh, Gott, Tommylein, es war so dramatisch!
    Frage: Und was wurde aus Anderson?
    Haskins: Ich weiß es wirklich nicht. Einen Augenblick lang war er noch da, gleich neben mir, und im nächsten Augenblick war er verschwunden. Er löste sich ganz einfach in Luft auf.
    Frage:

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