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23 Uhr, York Avenue

23 Uhr, York Avenue

Titel: 23 Uhr, York Avenue Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Sanders
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Hallenhockeyteams, Kapitän der Reit- und der Golfmannschaft, und ich war auch eine gute Tennisspielerin. Nicht klug, aber kräftig. Hier siehst du mich mit dem Pokal, den ich als beste Allroundsportlerin gekriegt hab'.
    Anderson: Du lieber Gott, was'n Körper. Ich wünsch' mir nur, ich hätt' dich damals wetzen können.
    Mrs. Everleigh: Das haben viele auch getan. Ich konnte zwar vielleicht nicht tanzen, aber ich entdeckte das Geheimnis, wie man sich bei den Jungs beliebt macht. Ein sehr einfaches Geheimnis. Ich glaub', sie ernannten mich zur »Miß leichter Fall«. Man brauchte mich nur darum zu bitten, nicht mehr, und schon machte ich die Beine breit. Also hatte ich jede Menge Verabredungen.
    Anderson: Ich hätt' dich ja für 'ne Lesbierin gehalten.
    Mrs. Everleigh: Oh… ich hab's versucht. Ich hab' zwar nie den ersten Schritt getan, aber da gab's jede Menge von diesen süßen, blassen, zarten, weiblichen Dingern, die mich hochfingerten. Ich hab's versucht, aber es blieb nicht haften. Vielleicht lag das an der Art, wie sie rochen. Du hast heut' morgen nicht geduscht, oder?
    Anderson: Nein.
    Mrs. Everleigh: Dieser pferdige, bittere, säuerliche Geruch. Der knipst mich richtig an. Damit will ich nun nicht sagen, daß ich's mal mit einem Pferd getrieben hab'; denk dir gefälligst nichts Kindisches dabei. Dann hab' ich David kennengelernt. Er war mit Bob befreundet, meinem jüngsten Bruder. Hier hast du David.
    Anderson: Sieht aus wie'n zuckersüßer Falter.
    Mrs. Everleigh: Das war er auch… aber ich hab's erst gemerkt, als es zu spät war. Und er trank und trank und trank… aber er war lustig und freundlich und rücksichtsvoll. Er hatte Geld, und er brachte mich zum Lachen und hielt mir alle Türen auf, und wenn er in der Falle nicht gerade aufregend war, na, dann konnte ich das damit entschuldigen, daß er ständig zuviel zum Saufen hatte. Weißt du?
    Anderson: Ja.
    Mrs. Everleigh: Jede Menge Geld. Cleveland-Kohle und Roheisen und so Zeug eben. Manchmal hab' ich mich gefragt, ob nicht ein kleiner Jude in ihm steckt.
    Anderson: 'n kleiner Jude?
    Mrs. Everleigh: Du weißt schon… vor langer Zeit, irgendwo in der Verwandtschaft. Wie dem auch sei, hier hast du uns am Strand, auf dem Semesterkränzchen, bei einer Pferdeschau, bei der Verlobung, die Hochzeitsbilder, der anschließende Empfang und so weiter. Ich hatte Schuhe mit flachen Absätzen an, weil ich ein winziges Stück größer war als er. Er hatte wunderschöne Haare. Hatte er nicht wunderschöne Haare?
    Anderson: Wunderschön. Kommt noch viel von dieser Scheiße?
    Mrs. Everleigh: Nein, nicht mehr viel. Hier sind wir in unserem Sommerhaus in East Hampton. Manchmal hatten wir's dort sehr schön. Betrunkene Feste. Einmal platzte ich in Davids Zimmer, als er sich von einem portorikanischen Tellerwäscher in den Hintern pimpern ließ. Davon hab' ich leider kein Photo! Und damit hätten wir's wohl geschafft. Noch ein paar Bilder von mir auf Einkaufsreisen - Paris, Rom, London, Genf, Wien.
    Anderson: Wer ist dieser Bursche?
    Mrs. Everleigh: Ein Junge, den ich mir in Stockholm gekauft hab'.
    Anderson: Gut im Bett?
    Mrs. Everleigh: Eigentlich nicht.
    Anderson: Wieso heulst du, zum Teufel noch mal?
    [Pause von sieben Sekunden.]
    Mrs. Everleigh: Diese Bilder. Hundert Jahre. Meine Großeltern. Der Bürgerkrieg. Meine Eltern. Die Weltkriege. Meine Brüder. Ich denk' nur dran, was alle diese Menschen durchgemacht haben. Um mich hervorzubringen. Mich. Ich bin das Ergebnis. Ah, Jesus, Duke, was geschieht mit uns? Wie sind wir geworden, was wir sind? Ich halt's einfach nicht aus, dran zu denken - es ist so gräßlich. So traurig.
    Anderson: Wo ist dein Mann jetzt?
    Mrs. Everleigh: David? Als ich ihn zuletzt gesehen hab', trug er Lippenstift. Das mein ich ja. Und sieh mich an. Bin ich auch nur ein bißchen besser?
    Anderson: Willst du, daß ich geh'?
    Mrs. Everleigh: Und mich hier allein läßt? Wo ich die Wände zählen darf? Duke, bei der Liebe Gottes, hol mich 'raus…

33
    Der Don der Angelo-Familie, Dominick »Papa« Angelo, 94, ordentlicher Wohnsitz Flint Road 67825 in Deal, Bundesstaat New Jersey, hatte 1874 in Mareno auf Sizilien als Mario Domenico Nicola Angelo das Licht der Welt erblickt. Er entstammte dem durch eine standesungleiche Heirat begründeten »linken« Zweig der ursprünglichen Familie Angelo; seine Vorfahren waren fünf Generationen hindurch landwirtschaftliche Gutspächter auf Sizilien gewesen. Über Dominicks Schulbildung in jungen Jahren liegen

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