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23 Uhr, York Avenue

23 Uhr, York Avenue

Titel: 23 Uhr, York Avenue Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Sanders
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war.

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    Die Tonbänder NYDA-Nr. 145-113 A-l 13 G enthalten die umfangreiche Aussage des Gerald Bingham jun., Wohnung 5A, York Avenue 1370, Manhattan, New York, die dieser einem bevollmächtigten Mitarbeiter des Büros des Staatsanwalts für den Amtsbezirk New York diktierte. Als Niederschrift (NYDA-Nr. 146-113 AT- 113 GT) füllt die Darstellung des jungen Bingham dreiundvierzig Schreibmaschinenseiten. Der folgende Auszug umfaßt die entscheidendste Zeitspanne in der Tätigkeit des minderjährigen Zeugen. Einzelheiten, die in den vorhergehenden Aussagen bereits zur Sprache gekommen sind, wurden ebenso fortgelassen wie jenes Material, das in der weiteren Folge durch andere Quellen zugänglich gemacht werden soll.
    Zeuge: Ich hörte die Wohnungstür ins Schloß fallen, und ich sah auf meine Uhr, die auf dem Nachttisch lag. Es war neun Minuten und siebenunddreißig Sekunden nach eins. Meine Uhr war ein »Omega«-Chronometer. Ich hab' sie nie mehr zurückbekommen. Es war eine hervorragende Uhr. Sehr genau. Ich glaube nicht, daß sie im Jahr mehr als drei Minuten vorging. Für eine Armbanduhr ist das schon sehr beachtlich, wissen Sie. Jedenfalls vermerkte ich die Zeit. Ich wußte natürlich nicht mit Sicherheit zu sagen, ob die beiden Diebe mit meinen Eltern die Wohnung verlassen hatten. Aber ich hab' ein sehr scharfes Gehör - was möglicherweise meinem körperlichen Gebrechen zuzuschreiben ist. Übrigens ein interessantes Gebiet für die Forschung… ob gelähmte Beine gewisse Sinnesorgane beeinflussen können, in der Art etwa, wie Ohren und Nase eines Blinden mit solch ungeahnter Empfindlichkeit ausgestattet sind. Na, eines Tages vielleicht…
    Ich schätzte, sie würden binnen zehn Minuten wiederkommen, um bei mir Nachschau zu halten. Tatsächlich waren aber nur etwa sieben Minuten verstrichen, seit sie gegangen waren, als ich hörte, wie die Wohnzimmertür geöffnet wurde. Ein maskierter Mann betrat die Wohnung, kam in mein Zimmer und sah mich an. Es war nicht der Mann, der zuvor mit mir gesprochen hatte. Dieser Mann war etwas kleiner und schwerer. Er sah mich nur an, ohne irgendwas zu sagen. Dann erblickte er mein »Omega«-Chronometer auf dem Nachttisch, hob es auf, steckte es in die Tasche und ging hinaus. Dies machte mich wütend. Ich war bereits fest entschlossen, ihre Pläne zu durchkreuzen, aber dies gab mir zusätzlichen Ansporn. Ich kann es nun mal nicht leiden, wenn man meine persönlichen Habseligkeiten anrührt. Meine Eltern wissen das und respektieren meine Wünsche.
    Ich hörte die Wohnungstür gehen, und ich begann zu zählen, wobei ich mich der Methode der Berufsphotographen bediente, die Sekunden aneinanderzureihen: »Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig… « und so weiter. Während ich zählte, hob ich den Telefonhörer ab; auf meinem Nachttisch befindet sich ein Nebenanschluß. Wie ich vermutet hatte, war die Leitung völlig tot, und ich schloß daraus, sie hätten den Hauptkabelstrang im Keller unterbrochen. Das beunruhigte mich keineswegs.
    Ich schätzte, sie würden nur ein- bis zweimal im Abstand von zehn Minuten oder so bei mir Nachschau halten. Dann, wenn sie sahen, daß ich keinerlei Anstrengung unternahm, Alarm zu schlagen oder zu fliehen, würden ihre Besuche an Häufigkeit nachlassen. Dies war auch der Fall, wie sich herausstellte. Der erste Besuch, wie gesagt, hatte etwa sieben Minuten nach ihrem Verlassen der Wohnung stattgefunden. Der zweite Besuch erfolgte elf Minuten und siebenunddreißig Sekunden nach dem ersten; es war derselbe Mann. Der dritte Besuch - diesmal war es ein etwas größerer, schlankerer, ebenfalls maskierter Mann - kam sechzehn Minuten und acht Sekunden nach dem zweiten. Der vierte Besuch, schloß ich daraus, werde annähernd zwanzig Minuten nach dem dritten erfolgen. Bei vorsichtigster Einschätzung der Lage konnte ich mir also getrost zehn Minuten zubilligen, während deren ich nicht gestört werden würde. Uber die vollen zwanzig Minuten zu gehen hielt ich nicht für ratsam, da ich weder meine Eltern noch die anderen Hausbewohner, die sich nach Kräften bemühen, liebenswürdig zu mir zu sein, in Gefahr bringen wollte.
    Nun, ich hab' zwar keinerlei Gewalt über die untere Hälfte meines Körpers, die ja gelähmt ist, aber Sie müssen wissen, daß ich von den Hüften aufwärts sehr gut entwickelt bin. Mein Vater bringt mich dreimal wöchentlich in eine private Gymnastik- und Sporthalle. Ich bin ein ausgezeichneter Schwimmer, meine Leistungen auf dem Reck

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