2309 - Die Augen von Charon
schüttelte den Kopf. „Zu viele Störungen. Das Wrack wird in absehbarer Zeit die gesamte strukturelle Integrität verlieren. Wenn nicht vorher die Meiler und Reaktoren hochgehen."
„Wie lange noch?"
Der Terraner hob die Schultern. „Eine Stunde, vielleicht zwei."
„Alysha, stelle ein Rettungskommando zusammen. Es geht an Bord des Wracks.
Permanente Ortungsüberwachung. Der Trupp soll kein Risiko eingehen. Rufe ihn zurück, sobald du den Einsatz nicht mehr verantworten kannst."
Die Kommandantin erteilte die nötigen Anweisungen. „Ich habe zwei neue Ortungen!", meldete Gredor. „Entfernung drei beziehungsweise fünf Lichtminuten. Zwei kleine, dafür aber extrem massereiche Trümmerhaufen. Sie treiben durch den Weltraum ... Geschwindigkeit fast synchron mit der des GWALON-Wracks."
„Genauer!", sagte ich. „Ich arbeite daran. Es handelt sich um ultrakomprimierte Reste von ... entarteter Materie, mit einer Dichte von fast 91 Kilogramm pro Kubikzentimeter ..."
Ich atmete tief ein. Damit waren meine letzten Zweifel beseitigt. Nur allzu gut hatten sich die Nachrichten aus dem Solsystem, die die AUBERG mitgebracht hatte, in mein fotografisches Gedächtnis eingebrannt.
Es gab nur eine Erklärung. Zumindest drängte sie sich mit einem Nachdruck auf, gegen den auch der Logiksektor keine Argumente fand.
Die beiden massereichen Mikro-Objekte waren die Reste der arkonidischen Forschungsraumer der EPETRAN-Klasse, die von einem Potenzialwerfer einer Kolonnen-Einheit getroffen worden waren.
Einheiten der Terminalen Kolonne TRAITOR waren hier, in unmittelbarer Nähe der Charon-Wolke!
Laut Perrys Datenmaterial breitete sich die Gravitations-Schockwelle der Potenzialwerfer kugelförmig aus. Nach 0,05 Sekunden war in einer Distanz von 15.000 Kilometern mit 84.400 Gravos ein Wert erreicht, der auch unter den neuen Hyperimpedanz-Bedingungen von den Andruckabsorbern verkraftet werden konnte. Wobei einzukalkulieren war, dass sich Raumschiffe im Allgemeinen ebenfalls bewegten und bei knapp halber Lichtgeschwindigkeit pro Sekunde fast 150.000 Kilometer zurücklegten.
Das erklärte die Vernichtung der arkonidischen Einheit: Der GWALON-Kelch war offenbar zu schnell gewesen, oder die Besatzung hatte schnell genug reagiert, um einen Volltreffer durch den Potenzialwerfer zu vermeiden. Dadurch war er nicht direkt vernichtet und komprimiert worden, sondern „lediglich" durch den Gravitationsschock regelrecht zerschrotet.
Ich überlegte kurz, ob ich das Rettungskommando zurückziehen sollte. Nun war klar, was die Raumsoldaten an Bord des GWALON-Wracks erwartete. Von jeglichen Wesen an Bord würden sie buchstäblich nur noch zerquetschtes Gewebe finden. Wir würden DNS-Proben benötigen, um nachzuweisen, ob es sich um Arkoniden, Naats oder was auch immer gehandelt hatte. Mit Überlebenden war nicht zu rechnen. „Alysha", sagte ich, und meine Stimme kam mir selbst fremd vor, „neue Aufgabenstellung für das Rettungskommando. Es soll nicht mehr vorrangig nach Überlebenden suchen, sondern so viele Messungen, Ortungen und Analysen wie möglich vornehmen."
Ich wollte die zerstörten Schiffsreste zumindest so lange untersuchen lassen, bis zweifelsfrei feststand, dass die drei arkonidischen Schiffe von Potenzialwerfern vernichtet worden waren. Und vielleicht gewannen wir ja neue Daten, die irgendwann der LFT, wenn nicht sogar der gesamten Milchstraße von Nutzen sein würden.
Marya Delazar räusperte sich.
Ich drehte mich zu der Chefwissenschaftlerin um. „Atlan, ich habe die Daten studiert, die die AUBERG mitgebracht hat. Wir haben nicht viel Zeit. Wir müssen damit rechnen, dass sich die Reste der zwei ultrakomprimierten Arkoniden-Raumer binnen einer Stunde mit der Wucht einer Gigatonnen-Bombe wieder ausdehnen. Der vierdimensionalkonventionelle Anteil der betroffenen Materie entartet bei einem Treffer augenblicklich, nimmt den ultrakomprimierten Zustand an und behält ihn, obwohl er hochgradig instabil ist, bis die Hyperbarie-Anregung nach rund einer Stunde wieder auf das normale Niveau zurückfällt. Dann wird der extrem verdichtete Klumpen geradezu explodieren."
Ich nickte. „Ich weiß. Du hast Recht. Wir täten gut daran, dann nicht in der Nähe der Wracks zu sein. Aber wir haben noch ein ganz anderes, vielleicht sogar wesentlich gravierenderes Problem."
Fragend sah sie mich an. „Diejenigen, die das getan haben", sagte ich, „könnten jederzeit wieder auftauchen. Und wenn ein GWALON-Kelch sich nicht vor ihnen
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