2311 - Die Explosive Kraft
dünnte weiter aus, löste sich auf, machte der Schwärze des Weltalls Platz.
Tumult brach los. Zahlreiche Ratsherren und -damen verschiedenster Nationen brüllten gleichzeitig. Nur die Jileenos blickten unverändert stoisch, mit schweren Lidern, ins Leere. Sheerdurn beschlich der Verdacht, die Kerle schliefen mit offenen Augen. „Schwindel!", setzte sich ein grobschlächtiger Donilprinz durch, der über das lauteste Organ verfügte. „Es könnte sich um jede beliebige Enklave handeln. Man versucht uns etwas vorzugaukeln."
„Lies die Daten", verteidigte sich Kempo kühl. „Kein Einfall von Emissionen einer Sonne, die näher als acht Lichtjahre stünde. Dafür das Licht von Hunderten und Aberhunderten Sternen in mittlerer Entfernung."
„Manipulierte Messwerte!"
„Ihr könnt sie gern nachprüfen. Den Flugschreiber stellen wir dem Hohen Rat selbstverständlich zur Verfügung. Vor allem aber: In welcher Sonnensphäre würde euch das begegnen?"
Im Holo erschien zuerst ein einzelner, dann die ganze Flottille der riesigen Kelchraumer. Sheerdurn beobachtete Khal Pif’Deran und sah, wie dieser erbleichte; er genoss es, den begnadeten Schwafler einmal sprachlos zu erleben. Zwei, nein: drei Hainräte sackten langsam zusammen, ohnmächtig geworden. Einige Strukturflieger fummelten hektisch an ihren Pilotenbrillen. Der Rest, die Jileenos eingeschlossen, saß wie vom Donner gerührt, mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen. „Das sind fremde Schiffe", kommentierte Kempo trocken. „Mächtige Raumfahrzeuge einer unbekannten Macht. Und sie versuchen ganz offensichtlich, in die Weltenwolke einzudringen."
*
Es dauerte Minuten, bis sich die Ratsmitglieder wieder in der Gewalt hatten. Dann bat der Vorsitzende die drei Doryner brüsk, den Hain zu verlassen; nur Delegierte durften der Beratung beiwohnen. Man werde sie vom Ergebnis verständigen. „Würde mich sehr wundern, wenn etwas Sinnvolles dabei herauskäme", ätzte Sheerdurn auf dem Weg in ihr Quartier. „Aber sie waren doch beeindruckt, oder etwa nicht?", fragte Kempo. Seine Hände flatterten, da der Adrenalinschub abklang. „Beeindruckt? Platt wie Sandrochen!" Auhara boxte ihm gegen den Oberarm. „Stimmt schon, heißt aber leider noch gar nichts." Sheerdurn spuckte aus. „Bildet euch nicht ein, dass die so schnell einen brauchbaren Beschluss zustande bringen."
Jede der sieben Nationen besaß ein Vetorecht, mit dem sie unliebsame Entscheidungen unterbinden konnte. Von den Jileenos drohte diesbezüglich wohl keine Gefahr; deren Vertreter hatten sich seit einer halben Ewigkeit nicht mehr zu Wort gemeldet.
Die anderen Delegationen einzuschätzen fiel schwerer.
Den Grisoun und den Micachern war noch am ehesten zuzutrauen, dass sie den Ernst der Lage erkannten. Die ijordischen Gewerken tendierten meist dazu, sich der Mehrheit anzuschließen; während die Prinzen und Vizeköniginnen aus dem feudalen Don-System sich oft launisch verhielten und schon bei der geringsten Verletzung der Etikette ihre Zustimmung verweigerten. Dass die von Auharas Vater angeführte Delegation von Dubox nicht gerade zu den progressiven Kräften zählte, war hinlänglich bekannt.
Blieben die Erenesae.
Sheerdurn seufzte. Niemand hielt die Tradition dermaßen hoch wie die Bewohner des Eren-Systems. Deren Ahnenverehrung ging so weit, dass sie buchstäblich in die Fußspuren ihrer Vorfahren traten. Jeder Erenesaj strebte danach, das Leben des Urahns, nach dem er getauft worden war, so exakt wie irgend möglich nachzuvollziehen. Mit der Namensgebung, die im dreizehnten Lebensjahr kurz nach der Charon-Prüfung erfolgte, wurden also die wichtigsten Eckdaten der persönlichen Zukunft bereits festgelegt: welchen Beruf man ergreifen würde, welchen Partner man wann, wo und im Beisein welcher Hochzeitsgäste zu ehelichen hatte, ja sogar, woran man später erkranken und im Idealfall auf den Tag genau sterben würde.
Wer einen berühmten Namenspatron besaß, von dem Aussagen überliefert waren – und das traf natürlich auf alle Hainräte zu –, sprach nahezu ausschließlich in Zitaten seines Ahnen. Die Konzilien und sonstigen Versammlungen der Erenesae glichen historischen Theaterstücken, deren Text seit Jahrtausenden auf Punkt und Beistrich feststand. Auch nur eine halbe Dialogzeile zu verändern war lästerlich. „Versteht sich, dass ein Universum außerhalb der Weltenwolke bei denen nicht vorkommt", teilte Sheerdurn seine Bedenken Auhara und dem Bengel mit. „Erst recht keine
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