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232 - Höllisches Paradies

232 - Höllisches Paradies

Titel: 232 - Höllisches Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Ferkau
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ein Esser mehr, der ihre Vorräte reduziert. Aber ich werde den Teufel tun und den Schutzraum wieder verlassen!
    Der Bärtige schob eine mächtige Wampe vor. Seine muskulösen Oberarme spannten sich. Er ballte die Hände zu Fäusten. Und wies erneut Richtung Tür.
    Eines hatte Stanislav gelernt, damals im Ural, im Gefängnis. Man hatte ihn dort eingesperrt, weil er einen Angriff auf ein ziviles Dorf in Afghanistan verweigert hatte. Viele Jahre später hatte er in so genannten Schlafsiedlungen gelebt, Plattenbauten ohne jede Menschlichkeit. Hinter verrosteten Garagen, die von Autobesitzern wild überall aufgestellt wurden, in Kellern, die zur Sowjetzeit oft als Luftschutzkeller gedient hatten, in den Ruinen verlassener Häuser bauten er und andere Dissidenten sich ihre Welten auf und warteten auf den Niedergang der UdSSR. Auch dort hatte Stanislav seine Gefängniskenntnisse genutzt. Es war immer das Gleiche gewesen: Greif dir den Stärksten und besiege ihn. Dann wird man dich respektieren!
    Kaum gedacht, schoss Stanislavs Faust schon vor. Sie brach dem Bärtigen die Nase. Blut schoss daraus hervor. Stanislav duckte sich, um einem eventuellen Gegenangriff auszuweichen. Aus dem Dicken entwich die Luft. Ächzend sank er zu Boden. Männer sprangen auf, gruppierten sich um Stanislav. Brüllten durcheinander. Drohten. Aber niemand dachte daran, einzugreifen. Zitternd, aber selbstbewusst starrte Stanislav einen nach dem anderen an.
    Der Bärtige rappelte sich auf und trollte sich. Er hielt sich das Gesicht. Mit schlechtem Gewissen sah Stanislav ihm nach. Wer weiß, dachte er, vermutlich ist er ein richtiger netter Bursche. Sei’s drum! Die Zeiten hatten sich geändert. Zivilisation war gestern…
    Stanislav räusperte sich. »Hört zu, Leute«, sagte er auf Englisch. »Ich will niemandem etwas Böses, sondern das Gleiche wie ihr: überleben!«
    Man drehte sich weg von ihm, wandte sich ab.
    Stanislav war in einem Schutzraum, und er war alleine.
    Und draußen tobte ein mörderischer Sturm.
     
    ***
     
    13. Dezember 2524, Ashmore-Inseln
    Matthew Drax rannte in absoluter Dunkelheit um sein Leben.
    Immer wieder schlug er mit Schultern und Kopf an die Wandung des Ganges, aber er hielt nicht inne. Weiter, immer weiter! Egal, was am Ende auf ihn warten mochte. Es konnte nicht schlimmer sein als das, was ihm hörbar durch den Tunnel folgte: Wimmelnde Tentakel, die nach seinen Füßen peitschten und ihn zu Fall bringen wollten.
    Die Kreatur weit hinter ihm kreischte. Es klang eindeutig enttäuscht – und wenige Augenblicke später erkannte Matt auch den Grund dafür: Vor ihm erschien ein Lichtpunkt! Je weiter er lief, desto mehr nahm die Helligkeit zu, bis er schließlich Tageslicht hinter Blätterwerk erkennen konnte, das den Ausgang verbarg.
    Dreck und Blätter spritzten, als Matt ins Freie brach. Einen Moment Schwerelosigkeit, dann krachte er mit der Schulter an einen Palmenstamm. Matt schrie vor Schmerz auf, warf sich zur Seite und rollte sich ab. Tentakel wischten suchend durch den Sand und verschwanden dann wieder in der Öffnung.
    Über Matt brannte die Sonne.
    Langsam erhob er sich, steckte den Colt ein und klopfte sich den Dreck von seiner Kleidung.
    Er schüttelte den Kopf. Dass er dem Ding entkommen war, erschien ihm noch immer kaum fassbar. Warum hatte es ihn nicht schon in der Höhle geschnappt? Warum hatte es überhaupt abgewartet, bis er den Gang betrat?
    Aber er hatte keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen.
    Aruula war in Gefahr, nur das zählte!
    Hier herrschte ein Gestank, weit übler als jedes Abwasser. Tod und Verfall, Kot und Rost. Der Geruch trug all die verderbten Noten mit sich, ein natürliches, giftiges Aroma. Auch der Wind genügte nicht, um den schrecklichen Gestank fort zu tragen.
    Die Sonne brannte unerbittlich. Aus unzähligen Augen belauert, inmitten einer grunzenden Tierwelt und bebenden Pflanzen, stieß Matthew auf die rostigen Überreste von Bohrtürmen.
    Er erinnerte sich schwach, dass irgendwann in den letzten Jahren der alten Zeitrechnung auf diesen Inseln Öl gefunden worden war. Dies hier waren die Überreste einer alten Ölkolonie.
    Wellblechbaracken, löcherig, verrostet und teilweise von Stürmen abgedeckt, bildeten eine befremdliche Silhouette vor dem Nachmittagshimmel. Mehrere Öltürme waren umgestürzt, von Schlingpflanzen umrankt, vom Sandboden verschluckt. Ein Skelettwald aus Stahl. Wind heulte in den rostigen Gebeinen, wie das Klagen eines Mannes, der nicht mehr lange zu leben

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