232 - Höllisches Paradies
solche, die Matt nicht zuordnen konnte, mit unterarmlangen Kiefern und monströsen Gebissen. Sie alle hatten eines gemeinsam: Sie besaßen keine Schädeldecke mehr. Es sah aus, als habe etwas sie abgebissen und den Inhalt entfernt.
Auffällig war, dass die meisten Schädel aufeinander gestapelt waren, als hätte ein monströser Künstler eine Galerie gestalten wollen. An der gegenüberliegenden Höhlenwand erhob sich dagegen ein ungeordneter Haufen zertrümmerter Knochen. Futterreste.
Matt kniff die Augen zusammen und versuchte im Dämmerlicht mehr zu erkennen. Keine Wohnhöhle. Keine Wandmalereien. Nichts, was auf Menschen schließen ließ. Es roch nach Kalk.
Im Hintergrund der Höhle führte ein Gang ins Unbekannte. Matt rieb sich den Nacken und blickte nach oben. Wenig Wurzelwerk. Nichts, woran er sich hinauf hangeln könnte. Dorthin gab es kein Entkommen, also blieb nur der Gang.
Matthew Drax nickte grimmig und machte sich auf den Weg. Unter seinen Stiefeln zerbrachen dünne Knochen. Das Geräusch ließ seine Haare zu Berge stehen. Irgendwo, weit entfernt, meinte er ein irres Lachen zu hören; wie von einer Hyäne, die sich auf ihr Nachtmahl freute.
Trotzig spuckte er aus und betrat den Gang. Unverkennbar führte er sanft aufwärts und glich somit eher einem Stollen, war aber sicherlich nicht künstlich angelegt.
Matt kam nicht mehr dazu, sich über die Geologie seiner Umgebung Gedanken zu machen. Er hörte ein Geräusch hinter sich und fuhr herum.
In der Höhle wimmelte es. Das Tentakelding war von irgendwoher zurückgekommen und füllte fast den ganzen Raum aus. Matt riss den Colt hoch und suchte nach etwas wie einem Kopf, einem Maul, einem Hirn – etwas, worin er seine Kugel versenken konnte.
Die Tentakel krümmten sich, verknoteten, schoben sich zusammen wie ein mystischer Rätselblock und… metamorphierten! Zuerst ein pumpender Fleischklumpen. Dann eine schmale Gestalt, die wie ein überdimensionaler Konus in die Höhe wuchs, wieder in sich zusammenfiel, neue Formen bildete. Dabei erklangen schmatzende, reißende Geräusche.
Matt fuhr zusammen, als aus der bebenden Gestalt ein Kopf hochschnellte wie der eines Springteufels. Ein eindeutig menschlicher Kopf – und der Grund dafür, dass Matt nicht sofort darauf schoss. Der Mund öffnete und schloss sich und machte fiepende Geräusche.
Das Ding zog seine Lippen auseinander, eine spitze Zunge züngelte feucht. In einem dünnen Hals hüpfte ein faustgroßer Kehlkopf, als das Ding versuchte, Worte zu formen. Und dann: »Leere Schädel – Ich suche – Ich finde – Leere Schädel – Ich hole sie – In die Gruft – Er vergisst sie – Die Schädel – Er nimmt was er braucht – Und vergisst – Ich suche – Ich finde.«
Die Kreatur war eindeutig intelligent! Was sie aber nicht weniger gefährlich machte.
»Warum?«, krächzte Matt und hielt die Mündung weiter im Ziel. »Warum sagst du mir das?«
»Erst Wahrheit. Dann Tod!«
»Wessen Tod?« Er versuchte dem Wesen in die Augen zu blicken. Die Fratze zerlief wie Butter in der Sonne, gewann dann erneut seine Form zurück.
Fiepend: »Dein Schädel? Unwichtig!«
»Dann kann ich ja gehen, nicht wahr?« Matt lachte rau.
»Dein Fleisch? Gut!«
Matt zielte dorthin, wo er das Denkzentrum des Monsters vermutete. Als aus dem blubbernden Körper neue Tentakel wuchsen, gab er zwei Schüsse ab. Die Kugeln drangen durch die Fleischmasse – und schlugen in die Felswand. Keine Knochen, kein Gehirn. Der Kopf war nur eine Nachbildung gewesen, um zu kommunizieren!
Hinter Matt lag der Weg ins Dunkle. Immerhin eine Chance, dachte er sarkastisch. Er rechnete nicht wirklich damit, dass er schneller sein würde als die Schreckenskreatur, als er sich herumwarf und losrannte.
***
8. Februar 2012, Ashmore-Inseln
Stanislav Prodenko stemmte sich im Sand hoch. Der Schatten der gestrandeten Maschine fiel über ihn wie ein Omen. Sein Rücken schmerzte, an den Unterarmen hatte sich Sand an den Schweiß geheftet. Er schüttelte sich wie ein Hund und stellte fest, dass offensichtlich nichts gebrochen war. Schwein gehabt, dachte er lakonisch. Mehr Schwein als der arme Doktor.
Er wandte sich um, der Insel zu. Unter anderen Umständen hätte ihm der Anblick gewiss Freude bereitet: Palmen, die sich Richtung Strand bogen, etwa zehn Meter entfernt eine malerische Felsgruppe, deren scharfe Kanten im Sonnenlicht rötlich leuchteten. Ein Postkartenmotiv… wäre da nicht der sich rasch verdüsternde Himmel gewesen. Hoch
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