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235 - Auf dem sechsten Kontinent

235 - Auf dem sechsten Kontinent

Titel: 235 - Auf dem sechsten Kontinent Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael M. Thurner
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Föhren wachsen dort binnen zwanzig Jahren zu einer Höhe von dreißig oder mehr Metern heran. Wir geben das Holz unseren Nachbarn und Freunden und erhalten dafür Gegenleistungen. Arbeitskraft für die Ernte, Fleisch, Werkzeug oder Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens.«
    »Und alles wird unterirdisch hin und her transportiert?«, hakte Matt nach.
    »Ja. Das unterirdische Wegenetz ist so gut ausgebaut, dass wir fast vollständig auf Bootsverkehr verzichten können. Nur wenn wir Handel mit den Innenländern treiben, verwenden wir Schiffe; und selbst dann verlassen wir uns auf die Hilfe von Lotsen, die man uns zur Verfügung stellt. Denn hinter dem schmalen Streifen des Inselschelfs befindet sich eine steile Abbruchkante, wie auch hinter dem Dentrillenwald. Die Inseln des Außenlandes sind gewissermaßen die Gipfel eines Gebirgsstockes, die gerade noch aus dem Wasser ragen.«
    Matt kniff die Augen zusammen und blickte in die Richtung, wo sich das Innenland befinden sollte.
    »Du kannst nichts sehen«, beschied ihm Juri. »Es liegen knapp hundert Kilometer Ozean zwischen hier und dem antarktischen Festland.« Und, leiser, fügte er hinzu: »Ein Weg voll Gefahren. Im Wasser finden sich seltsame Seeungeheuer. Wesen, die nicht von dieser Welt zu sein scheinen. Schwimmende graue Moloche von unförmiger Gestalt, die sich mit Hilfe riesiger Gasblasen an der Wasseroberfläche halten. Wurmgeschöpfe, die sich an Schiffsrümpfen festsaugen und das Metall durchbohren, wenn man es nicht mit einem bestimmten Sud beschmiert, der aus Muschelkalk und Algensaft besteht. Lungenfische, die auf dünnen, haarigen Flossen übers Wasser marschieren und mit ihren Kiemen Düfte versprühen. Sie locken damit Vögel an und verschlingen sie in großen Massen. Ballonquallen sitzen entweder wie Seifenblasen auf der Meeresoberfläche oder treiben, wenn die Winde es wollen, hoch in die Luft. In der Nacht kannst du sie von hier aus sehen. Pünktchen in der Dunkelheit, die von Unglück künden. Weiters gibt es Seeschlangen, die Menschen durch ihr schrilles Geschrei in den Wahnsinn treiben…« Juri brach ab und schüttelte sich. »Ich habe die Reise ins Innenland drei Mal mitgemacht. Nächste Woche trete ich sie neuerlich an, und ich werde meinen Ältesten mitnehmen. Ich fürchte mich davor.«
    Matthew Drax war verwirrt. Wie hatte es hier zu solchen Mutationen kommen können, wenn ansonsten alles dafür sprach, dass die Daa’muren keine Kontrolle über diesen sechsten Kontinent erlangt hatten? Taratzen, Andronen, Siragippen… all diese Monster waren letztlich nur durch die Experimentierfreudigkeit der Außerirdischen entstanden. Woher kamen die Kreaturen in diesen Gewässern? Waren sie von außerhalb hierher gelangt, oder hatten sie sich durch einen anderen Einfluss entwickelt, der ihm bislang verborgen geblieben war?
    Matt und Juri blieben nebeneinander stehen, jeder in seinen eigenen Gedanken vertieft. Die Kraft der Sonne ließ nach. Matthew fröstelte.
    ***
    »Viele anderen Außenländer werden dich und deine Frau sehen wollen«, sagte Juri nach einer Weile. »Ich werde einige Familien hierher bitten. Dann kannst du uns deine Geschichte erzählen.«
    »Gerne«, sagte Matt. »Wir möchten euch aber nicht zur Last fallen. Unser Ziel ist das Innenland, und wir hoffen, dass ihr uns dabei helft, es zu erreichen…«
    »Darüber reden wir ein anderes Mal«, schnitt ihm Juri schroff das Wort ab. »Zuerst sollen die Familien zusammenkommen.«
    Matt verstand: Sie wurden einer weiteren Begutachtung unterzogen. Ein falsches Wort, eine falsche Geste, die nicht zur vorgefassten Meinung dieser isolierten und in Starre versetzten Gesellschaft passten – und sie steckten in Schwierigkeiten.
    Juri hob einen flachen Stein am Fuß der Felsnadel an und zog eine rostige Metallkiste aus dem Boden. In der Kiste fand sich ein Dreiecksgestell, das er wie ein Stativ in ausbetonierte Vertiefungen im Boden rammte, die Matt erst jetzt bemerkte. Sorgfältig richtete der Siedler die Metallröhren zueinander aus, sodass sie sich an den Oberkanten berührten, verschraubte sie mit laut quietschenden Zwingen und befestigte darauf ein sonderbares Gestell, das aus einem Drehgelenk und einer Holzplatte bestand, in dem ein Spiegelsplitter mit einer Knetmasse eingefasst war.
    Juri sah hoch zur Sonne, leckte sich nachdenklich die Lippen und richtete dann den Spiegel auf den Gipfel einer der nächstgelegenen Inseln aus. Er hielt einen verdreckten Tuchlappen darüber, entfernte

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