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235 - Auf dem sechsten Kontinent

235 - Auf dem sechsten Kontinent

Titel: 235 - Auf dem sechsten Kontinent Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael M. Thurner
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prinzipientreuen Menschen, der alles misstrauisch beäugte, was von außerhalb kam, neue Ideen mit sich brachte und sein privates Umfeld bedrohte.
    »Ich kann dir versichern, dass sich die Dinge da draußen während der letzten Jahre gehörig geändert haben. Hast du – jemals von den Bunkergemeinschaften gehört? Von der Hochkultur in Afrika? Vom Weltrat? Dies alles sind Strukturen, die neu entstanden sind…«
    »So?« Matts Gegenüber zuckte mit den Achseln. »Das ist mir einerlei. Ich habe keine gesteigerte Lust, mich woanders umzusehen. Das Schelfland ist meine Heimat, und es gibt keinen Platz auf der Erde, den ich mit meiner Insel tauschen möchte.« Sein Tonfall wurde freundlicher. »Du musst verzeihen, wenn wir misstrauisch waren. Was auch immer von jenseits des Riffs herkommt, riecht nach Gefahr. Du verstehst?«
    »Ich verstehe«, sagte Matt, und das tat er wirklich. Die postapokalyptische Erde war kein Ort für Sorglosigkeit. Hier dagegen schien die von den Daa’muren initiierte Verdummung der Menschen nicht stattgefunden zu haben; dafür drückte sich der Mann zu gewählt aus.
    »Ich bin Juri Rozhkoi«, stellte sich sein Gegenüber vor und reichte Matt die Hand. »Ich stamme von der Russenstation. Meine Frau, René, ist Domländerin.« Er drehte sich um und rief nach hinten: »Kommt raus, Jungs! Alles in Ordnung!«
    Drei Burschen schoben nacheinander ihre rotzbedeckten Nasenspitzen aus dem Haus. Keiner von ihnen war älter als zehn Jahre. Die Haarschöpfe waren dunkelblond, wie jener des Vaters. Trotz der kühlen Temperaturen liefen sie mit nackten Oberkörpern umher. Alle drei starrten sie auf Aruula, als wäre sie die Erfüllung ihrer Träume.
    »Ruslan, Freddie und Charles«, stellte Juri seine Kinder vor. »Eine Rasselbande, die ihrer Mutter nichts als Scherereien bereitet«, ergänzte er, nicht ohne Stolz, um sich gleich darauf wieder seinen Gästen zuzuwenden: »Ihr habt sicherlich Hunger? Wir haben zwar nicht viel, aber wir teilen gerne mit euch. Unter einer Voraussetzung.«
    »Und die wäre?«
    »Ihr erzählt uns, woher ihr kommt und wie ihr hierher gelangt seid.«
    Matt seufzte. »Ich befürchte, das ist eine lange Geschichte…«
    Die Hütte wirkte einfach, war aber heimelig und sauber. Die Kochstätte befand sich im Zentrum des großen Raums; daran angeschlossen fanden sich kleinere Schlafzimmer und einfache sanitäre Anlagen. René redete kaum ein Wort; mit einer Mischung aus Neid und Interesse ließ sie ihre Blicke über die makellose Haut Aruulas gleiten. Besonders die Körperbemalung der Barbarin schien es ihr angetan zu haben.
    »Lassen wir die Frauen fürs Essen sorgen«, sagte Juri und setzte sich an den grob gezimmerten Tisch. »Willst du einen Schluck Vodka?«
    »Gerne«, antwortete Matt. Auch wenn er selten etwas trank – er durfte die Gastfreundschaft der Rozhkois nicht zurückweisen.
    Juri goss klare Flüssigkeit aus einem Tongefäß in hölzerne Becher und stellte sie vor sich hin. »Selbstgebrannt«, sagte er stolz, »nach einem alten Stationsrezept.«
    Matt nippte vorsichtig. Das Getränk schmeckte fade und kraftlos. Also tat er es seinem Gegenüber gleich und stürzte den gesamten Inhalt des Glases in einem Zug hinab.
    Es dauerte eine Weile, bis sich die Wirkung entfaltete, und als er wieder einigermaßen klar denken konnte, lag er verkrümmt auf dem Boden, laut nach einem Kübel Wasser brüllend.
    Erst nach Minuten ließ der Druck auf den Augen nach und er konnte auch wieder stehen, ohne dass der Boden unter seinen Füßen schwankte.
    Juri grinste breit. »Jetzt bin ich mir sicher, dass du kein Innenländer bist. Unser Vodka ist bei unseren Nachbarn sehr beliebt, weil er eine gewisse Schärfe im Abgang besitzt.«
    »So?«, röchelte Matt. »Im Vertrauen: Ihr müsst einen ziemlichen Hass auf die Innenländer haben, wenn ihr ihnen Insektenvertilgungsmittel als Alkohol verkauft.«
    Juri lachte laut auf, hieb Matt auf die Schulter und führte ihn zurück zum Tisch. René fuhr gewaltige Mengen an Essen auf; so viel, dass sich die Holzbalken unter dem Gewicht bogen. Von Armut war jedenfalls nichts zu bemerken.
    »Gemüse«, seufzte Matt sehnsüchtig, »Rindfleisch, Brot und Obst. Wenn du wüsstest, wie lange ich das alles vermisst habe…«
    Juri nahm ein Messer und schnitt ein Stück Fleisch vom Braten, so groß und dick, dass es weit über die Ränder seines Holztellers ragte. »Bedien dich«, sagte er, leerte sich selbst grüngelbe Erbsen sowie gekochte Mohrrüben über den

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