24 kurze Albträume (German Edition)
Abscheulichste.
Sie packte ihre Folterinstrumente in den Koffer, den zerstümmelten Körper und die Tüte mit den Kleidern ebenfalls und verschloss ihn sorgfältig. Dann hob sie den Kopf und sah mich an, ein freundliches Lächeln auf den Lippen, das fast ein wenig stolz war.
Als die Mutter sie später abholte, wurde ich gefragt, ob die Kleine denn schön mit ihrer neuen Puppe gespielt habe.
»Ja«, sagte ich, »sie ist eine reizende Puppenmutter.«
Der Kopf dieser misshandelten Babypuppe lag immer noch auf dem Boden, als ich zwei Tage später von einem ehemaligen Schulkameraden besucht wurde. Er hatte sich im Laufe der Zeit zu einem konservativen, angesehenen Geschäftsmann entwickelt, soviel zu seiner Beschreibung. Jedenfalls bückte er sich, kaum, dass er das Wohnzimmer betreten hatte, und hob etwas auf. Er drehte den Puppenkopf in den Händen, betrachtete ihn eingehend und sagte dann fassungslos und mit hörbarem Entsetzen: »Was ist denn das? Das ist ja ... scheußlich ... abstoßend ...«
»Das gehört einem Nachbarskind«, antwortete ich so ruhig wie möglich, bemüht, mir mein Erschrecken nicht anmerken zu lassen, »einem kleinen Mädchen. Es kommt manchmal herüber und spielt mit ihren Puppen.«
»Empfindest du solche Spiele«, angewidert legte er den Kopf auf einem Tisch, »nicht als etwas abnorm? Du solltest das Kind daran hindern.«
»Ach, weißt du, Kinder«, sagte ich und wechselte hastig das Thema.
Das war wieder einer dieser Momente, in denen mich diese Angst berührt hatte. Aber ich glaube, das Schreckliche an diesem Puppenkopf war für beide verschieden gewesen.
Ich muss sagen, das kleine Mädchen hatte mit dem Puppenkopf ein wirkliches Kunstwerk geschaffen. Sie hatte schnell gelernt und konnte mit den Werkzeugen, die ich ihr geschenkt hatte, gut umgehen. Ich war nicht über diese herrliche Arbeit erschrocken, sondern über etwas ganz anderes.
Eine Sekunde lang hatte ich nämlich, als ich den Kopf in seinen Händen gesehen hatte, befürchtet, ich hätte die Spuren von gestern Abend nicht genügend beseitigt, als ich mir eine Puppe geholt hatte von einem der näher gelegenen Spielplätze, eine von denen, die schreien und sich wehren und die die roten Flecken auf meinem Teppich machen.
Meine wirkliche Angst aber ist immer, unter den vielen Puppen könnte auch eine sein, die eigentlich eine liebe Puppenmutter ist, so wie meine kleine Schülerin aus dem Nebenhaus.
Anja Slauf
Aus dem Schatten
Meine Schritte sind vorsichtig. Der Boden ist von trockenem Laub bedeckt und ich habe nicht vor, durch verräterische Geräusche auf mich aufmerksam zu machen. Langsam schleiche ich näher.
Da bist du. Deutlich zu erkennen trotz des spärlichen Lichts, das dich erhellt. Du bist alleine. Obwohl du dich vollkommen unbeachtet fühlst, ist jede deiner Bewegungen voller Grazie. Deine Lippen bewegen sich, höchstwahrscheinlich führst du mal wieder Selbstgespräche.
Ich lächle und mache einen weiteren Schritt auf dich zu. Immer wieder wirfst du einen Blick auf die Uhr, dann wendest du dich der Stange zu, die seit einigen Monaten dein Wohnzimmer ziert. Für viele ist es eine Trendsportart, für andere ein Weg, sich zu profilieren. Für dich jedoch scheint es so viel mehr zu sein. Jede deiner Bewegungen wirkt perfekt und es ist mir unmöglich, meine Augen auch nur für Sekunden von dir abzuwenden.
Nur leise dringt die Musik an meine Ohren. Dein Lächeln wirkt entrückt, als wärst du in deine eigene Welt abgedriftet, eine Welt, die andere oftmals als ein wenig seltsam empfinden. Doch dich stört das nicht und mir gefällt diese Selbstverständlichkeit, mit der du deine kleinen Eigenarten lebst.
Wieder mache ich einen Schritt näher. Meine Fingerspitzen legen sich auf
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