24 kurze Albträume (German Edition)
der Sitz leer. Frank hechtete hinter das Wartehäuschen und übergab sich. Dann kniete er keuchend neben seinem Erbrochenem. Eigenartigerweise fühlte er sich trotz des säuerlichen Geruchs einen kurzen Moment lang geborgen.
Eine Frau wollte ihm helfen, doch er lehnte ab und sagte, dass es ihm wieder gut ginge. Sie gab sich damit zufrieden und lief weiter, nicht ohne den Kopf zu schütteln.
Er sah noch einmal hinüber zu der anderen Haltestelle, doch da war natürlich niemand mehr.
Frank fühlte sich miserabel. Durch seinen Anfall hatte er den Jungen nicht warnen können, ihm sagen können, pass auf, da passiert gleich was. Mach irgendwas anders als sonst, dann geht der eine Moment vielleicht vorüber, ohne dass etwas geschieht. So blieb ihm nur die Gewissheit, dass er versagt hatte. Mit hängenden Schultern machte er sich auf den Heimweg.
War er wirklich etwas Besonderes, hatte er den dritten Blick oder wie das hieß? Er wusste nur, dass es ihn fertig machte. Mit so einer Gabe wollte er nicht weiter leben.
Seit dem Tod seiner Schwester bei diesem furchtbaren Hausbrand fühlte er sich leer und alleingelassen. Auch wenn sie weit auseinander gewohnt hatten, so hatten sie viel miteinander telefoniert und sich auch oft bei den Eltern-Besuchen gesehen. Er vermisste sie. Er hatte nie die Chance gehabt, mit ihr über seine Seher-Erlebnisse zu reden. Sie hätte ihm geholfen, da war er sicher. Nun aber musste er selbst damit fertig werden.
Erst das Reifenquietschen und die Hupe rissen ihn jäh aus seinem Trott. Er konnte sich gerade noch am rollenden Kastenwagen abstoßen. Er fiel, als würden ihn Hände tragen. Seine Landung war weich, obwohl er mit dem Kopf auf den Bürgersteig schlug. Benommen rappelte er sich hoch und befühlte die Beule am Hinterkopf. Irgendwo klapperte eine Tür und ein Mann zeterte. Verwirrt musste Frank sich erst einmal orientieren. Was war das eben gewesen? Hatte ihn jemand umarmt? Hatte sich absolut echt angefühlt. Genauso wie die Beule, die mächtig weh tat.
Er musste weg hier, musste nachdenken. Da war etwas. Irgendetwas stimmte nicht, oder doch?
Er winkte entschuldigend mit den Armen und ging einfach weiter. Sollten sie doch denken, was sie wollten.
Eine seltsame Regung aus Hoffnung und Verzweiflung hatte sich seiner bemächtigt. Was waren das für Momente, in denen er meinte, nicht alleine zu sein! Kurz nach dem Ereignis heute und gerade das mit dem Beinaheunfall. Starke Momente. Waren seine Visionen möglicherweise Reflektionen oder der Nachhall von etwas Anderem? Von anderen Gefühlen? Was, wenn …?
Frank beschleunigte seine Schritte. Er musste es herausfinden. Nur wie? Wie konnte er eine derart starke Emotion auslösen, damit das gelang?
Er erinnerte sich, dass der Fluss in diesem Teil der Stadt nicht so breit war und daher schneller strömte. Ja, das war gut. Glücklicherweise war niemand in der Nähe, als er sich auf das steinerne Geländer stellte. Tief unter ihm rauschte der Fluss. Die Angst ließ ihn verkrampfen, Tränen seinen Blick verschwimmen. Er sprang.
Und fühlte. Sie.
»Was auch immer dich treibt, tu es nicht. Bitte. Lass den Mann am Leben. Ich liebe Dich und weiß nicht, ob ...«
Die Fluten schlugen über ihm zusammen, doch eine warme Hand schien ihn aufzufangen. Vor seinem geistigem Auge sah Frank seine Schwester, die ihm traurig zunickte.
Er war glücklich. Alles würde gut werden.
Sie lebte.
Iris Weitkamp
Teufelssonntag
»Ach Berti, so ein herrlicher Tag. Wollen wir nicht heute Nachmittag einen schönen Spaziergang machen?«
»Mmh«, brummte Polizeikommissar Herbert Redlich hinter seiner Zeitung hervor. Ein dienstfreier und hoffentlich ereignisloser Sonntag lag vor, ein Stapel vernachlässigter
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