24 Stunden
Keiner der anderen Väter hatte ihr diese Information entreißen können, und er war sicher, dass es einige versucht hatten. Was hatten sie wohl unternommen, um sie zum Reden zu zwingen? Am naheliegendsten war die Waffe. Cheryl war jedoch immun gegen eine Bedrohung mit der Waffe, weil Abbys Leben in Gefahr war. Damit eine Drohung den erhofften Erfolg hatte, musste das Opfer glauben, dass sein Peiniger ernst machen würde. Und weil sie die Kinder hatten, konnte das niemand riskieren. Daher war es auch zwecklos, sie mit einem Dampfbügeleisen zu foltern.
Selbst wenn er es schaffen würde, Cheryl zum Reden zu zwingen, würde sie mit Sicherheit nicht alles sagen, was sie wusste. Sie musste mit ihm gemeinsame Sache machen, bis Abby wieder frei war. Während der nächsten Kontrollanrufe musste sie Hickey Theater vorspielen. Wie konnte er sie dazu bringen, das zu tun? Die Blutergüsse auf ihrem Körper bewiesen, dass sie Bestrafungen aushalten konnte, und Gott allein wusste, mit welchen Gräueltaten Hickey sie in der Vergangenheit schon bestraft hatte. Und doch blieb sie bei ihm. Will war es unbegreiflich, dass sie sich diesem Mann gegenüber loyal verhielt. Und doch...
Ihre Augen hatten gestrahlt, als sie über ihre Kontakte zu den Filmemachern berichtete, doch Hickey hatte diese Kontakte sofort unterbunden. Cheryl versuchte nicht, die Sache großartiger darzustellen, als sie war. Sie gab zu, dass es hauptsächlich um Softpornos ging, Filme, die nach Mitternacht im Satellitenfernsehen gezeigt wurden. Trotzdem reizte sie der Gedanke. Es war ein Schritt nach oben, und das wusste Cheryl. Es bedeutete auch einen Schritt weg von Joe Hickey, und dass wusste sie sicher bis zu einem gewissen Punkt auch. Sie wusste und glaubte daran, dass das Leben mehr zu bieten hatte als Prostitution und Verbrechen.
Um Hickey zu hintergehen, müsste sie allerdings die Gewissheit haben, ihm entkommen zu können. Dazu brauchte sie Geld. Geld genug, um nicht nur weglaufen, sondern um untertauchen zu können. Um eine andere Person zu werden. Diese Idee würde ihr gefallen: Cheryl, die Sofa-Stripperin, in der Asche der Vergangenheit zurückzulassen. Bevor Will dieses Geld jedoch beschaffen könnte, würde der letzte Akt schon gespielt werden, und zwar nach Hickeys Regeln. Als Cheryl vor einiger Zeit im Bad war, hatte er an der Rezeption angerufen und nach der Höhe von möglichen Barscheckabhebungen gefragt. Das Kasino benutzte TelChek, und diese Gesellschaft hatte ein Limit von 2.500 Dollar innerhalb von zehn Tagen. Aufgrund seines guten Rufes könnte er den Kasinomanager sicher überzeugen, einen Schuldschein über eine höhere Summe zu akzeptieren, aber nur, wenn er beabsichtigte, das Geld im Kasino zu verspielen.
»Alles in Ordnung?«, rief Cheryl.
»Ja.« Vielleicht könnte er die 2.500 Dollar zuzüglich der Summe, die er mit seinen Kreditkarten am Geldautomaten besorgen könnte, im Kasino einsetzen, um den Betrag zu gewinnen, den er brauchte...
»Mist«, murmelte er. Die einzigen Spiele, die er kannte, waren Blackjack und Poker, und die hatte er seit dem Studium nicht mehr gespielt.
Plötzlich verschleierte sich Wills rechtes Auge, und sofort darauf spürte er hinter dem Auge einen unerträglichen Schmerz. Eine Migräne kündigte sich an. Die euphorische Klarheit, die er soeben noch verspürt hatte, verschwand wie das Bewusstsein eines Betrunkenen im Nebel seines Katers. Ihm blieben nur 30 Minuten, und die Zeit lief. Abby wird auf jeden Fall sterben, egal...
Noch nie in seinem Leben war er so verzweifelt gewesen. Die entsetzliche Angst und Ausweglosigkeit, die in die Enge getriebene Tiere spüren mussten, lähmte ihn. Abby war sein eigen Fleisch und Blut und Geist. Ihr Überleben bedeutete sein eigenes. Will hatte noch nie das Gesicht von Joe Hickey gesehen, doch es schwebte hinter seinem verschwommenen Blick und verhöhnte ihn wie der tanzende Kopf einer Kobra. Der schneidende Schmerz hinter seinem Auge wurde unerträglich. Er griff in seine Medikamententasche und schluckte vier Aspirin. Anschließend drückte er auf die Toilettenspülung und öffnete die Badezimmertür.
Cheryl beachtete ihn nicht und starrte verbissen auf den Bildschirm.
»War das Hickey?«, fragte er.
»Ja, alles in Ordnung. Hab ich doch gesagt.«
Will betrachtete sie, wie sie dort in seinem Hemd und den Fetzen des schwarzen Cocktailkleides saß. Neben ihr lag griffbereit die Waffe.
Sie spürte seinen Blick und schaute ihn an. »Was starren Sie mich denn so an?
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