2414 - Die Bestie Ganymed
Instinkte übernahmen die Kontrolle über Nulls Geist. Er begann zu rechnen, zog Querverbindungen zwischen Dauer, Intensität, Strahlwinkel, Stärke, beobachtbare Variable – und kam binnen kurzer Zeit zu dem Schluss: Es gab im Raum keinen Ort, an dem er sicher war.
Ein erster Strahlschuss traf Null unterhalb der rechten Schulter. Er hinterließ ein leichtes Brennen. Ein unangenehmes Kitzeln, das ihn reizte.
Das ihn sehr reizte.
Es holte etwas Starkes, Dunkles, Unheilvolles hervor. Etwas, gegen das er sich nicht wehren konnte – und wollte. Null ballte die Hände.
Ein zweiter Treffer, gleich darauf der dritte. Am linken Oberschenkel und, von unten kommend, in seine linke Fußsohle.
Es ... ärgerte. Brachte sein Blut in Wallung. Riss eine Grenze nieder, von der er bislang nicht gewusst hatte, dass es sie gab.
Null marschierte auf eine Wand zu und hieb dagegen; dort, wo er eines der Geschütze vermutete.
Nichts geschah. Keinerlei Beschädigung zeigte sich.
Das Gefühl zu versagen steigerte seinen Zorn. Denn eigentlich war er kräftig.
Ihn durchströmten Hormone. Blut pumpte verstärkt durch die beiden Herzen. Über seine Haut zog sich ein unbestimmtes Kribbeln, das sich nach innen hin fortsetzte. Sehnen und Muskeln spannten sich an, versteiften, wuchsen zu einem Gesamtkunstwerk an Stärke.
Null schlug neuerlich zu; mit vermehrtem Einsatz diesmal. Das Wasser nahm ihm einen Teil der Wucht, wie bereits beim ersten Mal.
Wieder nichts. Keine Delle, keine Reaktion jener, die die Laser bedienten. Nach wie vor drangen aus den zwölf Öffnungen in kurzen Abständen Strahlen; roten Blitzen gleich durchzogen sie den Raum, verschwanden bald darauf und wurden von Dampfbahnen gefolgt, deren Spuren sich wie Kondensstreifen allmählich verloren.
Woher kannte Null diese Begriffe?
Woher wusste er Bescheid über bestimmte Zusammenhänge? Waren ihm diese Dinge eingeimpft, irgendwie vermittelt worden, bevor er erstmals sein Bewusstsein erlangt hatte?
Null schnaufte. Luftstrahlen pressten sich mit ungeheurem Druck aus seinen Nasenlöchern und schoben ihn ein Stückchen nach oben.
Er empfand unbestimmten Hass.
Wut, die ihn alles ringsum wie hinter einem roten Schleier verborgen wahrnehmen ließ. Rot ... und zerstörenswert. Er fasste nach einem Laserstrahl wollte ihn mit der Kraft seiner Hände zerstören, obgleich ihm seine Logik sagte, dass ihm dies nicht gelingen würde.
Dennoch ... Der Zorn nahm zu, drängte jedes bewusste und bestimmende Denken beiseite. Emotionen übernahmen die Kontrolle über seinen Körper. Dutzende Lichtstrahlen trafen ihn nun; die Laser hatten sich auf ihn eingependelt. Sie quälten, ärgerten und kitzelten. Sie schabten und kratzten über seine Epidermis.
„Aufhören!", brüllte Null und schluckte Wasser. Er hieb um sich, so rasch und so kräftig, wie er nur konnte. Er ließ sich zu Boden sinken, stampfte auf, schnellte sich in die Höhe, prallte gegen die Decke. Rannte im Kreis, jegliche mögliche Atemnot missachtend. Hieb mit vier Fäusten gleichzeitig gegen dieses verfluchte Wandmaterial, das nicht und nicht nachgeben wollte.
Das Rot erfasste ihn vollends. Alles andere endete. Er wurde zur Bestie.
3.
Gegenwart: Roi
In einem merkwürdigen schwebenden Zustand sah er die beiden Enden der Bewusstlosigkeit und glaubte, zwischen ihnen wählen zu können. Das eine schreckte ihn, war grell, brennend und fordernd – und voll Verheißung auf Schmerz und Leid. Das andere lockte. Das dunkle, sanfte, kühlende Ufer war so nahe, so leicht erreichbar.
Er musste lediglich seinen Widerstand einstellen. Sich sacken und in die Schwärze fallen lassen.
Und doch wäre das die falsche Entscheidung.
Es fiel Roi unendlich schwer, gegen diese dunkle Verlockung anzugehen.
Sie bot keinen Widerstand; sie war einfach da, umspielte und umschmeichelte ihn.
Kolonnen-Anatomen hatten ihn zurückgebracht. Zu den Bestien-Terrarien, in denen Sheymor Merquin das Rohmaterial für seine Experimente gehortet hatte. Roi befand sich oberhalb der Kavernen des Genetischen Magazins, wie er mittlerweile wusste.
Man hatte ihn im Konservierungstank zur Bewegungslosigkeit verdammt. Kein Muskel wollte ihm gehorchen; selbst die Lippen fühlten sich so taub an, dass er kein vernünftiges Wort hervorbringen konnte.
Die Nervenlähmung und die Müdigkeit schienen durch medikamentöse Behandlung zustande zu kommen; durch mehrere Schläuche wurden seit einigen Tagen Flüssigkeiten in seinen Unterarm gepumpt.
In einem
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