2433 - Der Zorn des Duals
unabsehbar großes Gelände mit seinem Schatten bedeckte.
„Kann es sein, dass wir das Untere Öhr erreicht haben?", fragte er.
„Ich lande mal an", sagte das Schiff.
Ihr Abschied war unspektakulär.
Gaundrum fabulierte irgendetwas von der Silberbarriere, legte ab und fuhr los.
Der Dual schaute ihm nach, bis es sich in dem silbrigen Nebel in ein Gestöber losen Flitters aufgelöst hatte.
Dann wandte er sich dem himmelhoch gewölbten Glockenbau zu.
Zwischen dem schwebenden Bauwerk und dem Boden war ein Freiraum von wenigen Metern. Trotzdem hatte der Dual das Gefühl, einzutreten, als er unter dem Rand der Glocke herschritt.
Es war ein Wartesaal. Überall standen Sessel, Bänke, Hocker und Stühle. Die meisten, wenn nicht alle Sitzgelegenheiten, waren besetzt.
Überall saßen Duale, überall saß Ekatus Atimoss. Er saß da, in sich selbst versunken, und schlief, saß da, sich selbst gegenüber, und diskutierte, saß da und blätterte in riesigen Zeitungen, Folianten, las und schaute in Holoatlanten. Ekatus Atimoss grüßte die Ekatus Atimosse links und rechts, manche grüßten zurück, andere schlossen müde die Augen.
„Ist irgendwo noch ein Platz frei?", fragte Ekatus Atimoss einen Ekatus Atimoss.
„Einer müsste noch frei sein", antwortete Ekatus Atimoss. „Ein letzter.
Schließlich bist du der Letzte."
„Bin ich das? Woher weißt du das?"
„Weil alle anderen schon da sein müssen, denn es ist nur noch ein Platz frei."
„Ja, dann", sagte Ekatus Atimoss und machte sich auf die Suche.
Er fand einen gelben Klappstuhl aus Plastik an einem runden Tisch unter einem Sonnenschirm, der vor Schmutz triefte. Der letzte freie Platz. Der Dual setzte sich.
Heran trat ein humanoides Wesen, dessen Kopf ein knochiger Kelch war.
Aus dem Kranz des Kelches ragten etliche spinnenbeinige Fortsätze, die sich an ihren Gelenken bogen, knickten, wieder streckten.
„Oh", sagte das Wesen. „Haben wir schon gewählt?" Es sprach TraiCom, aber es klang singend, zerhackt, flüchtig, und die Form, die es für das wir benutzte, klang neu und utopisch.
„Kennen wir uns nicht?", fragte der Dual.
„Mag sein", sagte das Wesen. „Mir ist, als würde ich dich einmal sehen in jenen fernen Tagen. Hast du Hunger? Hast du Durst?"
Tatsächlich empfand der Dual weder Hunger noch Durst, obwohl er seit – ja, seit wie lange eigentlich auf dem Vektorplaneten reiste? Da er darüber nachsann, wurde ihm auch bewusst, dass er lange schon keinerlei Schmerzen mehr empfand, keine Last, keine Müdigkeit.
Selbst dass er saß, spürte er nicht mehr.
Probehalber stellte er das Atmen ein.
Kein Problem.
Sonderbar, dachte er.
Das Wesen mit dem Kelchschädel stand reglos dar. Ein merkwürdiger Ton lag in der Luft, ein Scharren und Schleifen, das rasch lauter wurde.
„Sie werden ungeduldig", flüsterte ihm das Wesen zu. Tatsächlich waren es die anderen Duale, die unruhig mit den Füßen über den Boden scharrten und auf den Sesseln hin und her rutschten.
„Es ist längst an der Zeit."
„Ich nehme an, das hier ist das Untere Öhr", sagte der Dual.
„In der Tat."
„Von hier aus werde ich starten. Oder hält mich jemand hier fest?"
„Von hier aus wirst du starten, denn niemand hält dich fest. Der Vektorplanet nimmt dich auf, wenn du kommst, er entlässt dich, wenn du gehst."
„Nun. Danke. Der Aufenthalt hat mich sehr bereichert. Was muss ich jetzt tun, um fortzukommen?"
„Nichts als einsteigen", sagte das Wesen.
Die Glocke über ihnen verschwand und nahm das Heer der Duale mit. Hinter dem Wesen schälte sich der Pilzturm aus einem silbrigen Nebel. Der Balkon rotierte bodennah. Der Dual drehte sich um. Einige Schritte entfernt stand die Raumkapsel, mit der er gelandet war.
„Also dann", sagte der Dual.
„Also dann", sagte das Wesen.
Der Dual rührte sich nicht. „Ich möchte wissen, was das alles hier bedeutet. Wo befinde ich mich?"
Das Wesen neigte sich zu ihm herab.
Er spürte die Wärme, die von dem Knochenkelch ausging, er atmete das bittersüße Aroma seines Atems ein.
„Dies ist die Halle des Großen Zorns", erklärte das Wesen.
Der Dual schüttelte sich. Er hatte etwas anderes erwartet, etwas anderes gewollt. Eine weitgehende technische Erklärung der Vorgänge, eine Einweihung in den hyperphysikalischen Kontext des Vektorplaneten, in die Wirkungsweise seiner raumzeitmanipulativen Maschinerie.
„Zorn?", rief er. „Wieso Zorn? Zorn ist nichts als eine schlichte, contraintellektuelle Emotion."
„Oh
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