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244 - Der dunkle Traum

244 - Der dunkle Traum

Titel: 244 - Der dunkle Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Ferkau
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war.
    »Wirst du nun schlafen?«, fragte Aldous.
    »Ja… schlafen«, entgegnete Rulfan.
    »Beantworte meine Frage richtig, so wie es sich geziemt, Rulfan! Also, wiederhole…«
    »Ja, ich werde schlafen… Meister!«
    ***
    Zwei Tage später
    »Der Victoriasee ist einer der größten Süßwasserseen der Welt«, meinte Aldous belehrend. Rulfan sah ihn von der Seite an und schwieg. Er wandte sich wieder der Aussicht zu, von der er auch jetzt, da er sie das dritte Mal in seinem Leben sah, nicht genug bekommen konnte. Wieder erfasste ihn das Gefühl, so winzig und unbedeutend wie eine Ameise im Wald zu sein. Die Autorität der Natur schlug mit Macht über ihm zusammen. So etwas Vollendetes, Wildes, Ursprüngliches und doch in sich Geordnetes suchte seinesgleichen. Rulfan hatte viel von der Welt gesehen, aber diese göttliche Weite war von nichts zu überbieten.
    Unmengen Tiere besuchten den See, um ihren Durst zu löschen. Ihre kleinen und großen Leiber wogten farbig wimmelnd am Flussufer. Schwärme von Flugreihern erhoben sich in den Himmel, zogen eine Runde und fielen etwas weiter südlich wieder zum See hinab.
    Viele Quadratkilometer der Wasseroberfläche waren von mutierten Wasserhyazinthen überwuchert, die bestechend grün im Sonnenlicht flirrten, einige von ihnen so groß, dass Kinder die Blüten als Boote hätten nutzen können. Dazwischen gab es spiegelglatte blaue Ausdehnungen, welche die Augen tränen ließen, so sehr reflektierten sie die afrikanische Sonne.
    Hin und wieder teilte sich das Wasser und der Schädel eines Margolus ließ sich blicken, ein mehr als fünf Meter langes, braun geschupptes Tier, das aussah wie ein Urweltwesen, sich jedoch ausschließlich von Algen und den Ablegern der Hyazinthe ernährte. Es ragte mit langem Hals aus dem Wasser, stieß einen tief jammernden Ton aus und versank wieder im kühlen Blau, einen kreiselnden Sog erzeugend. Nilbarsche, aus dieser Entfernung nur blitzende Punkte, die schon vor Jahrhunderten die meisten Furu (heute im Victoriasee lebende Buntbarsche) verdrängt hatten, sprangen aus dem Wasser.
    Weite Strecken des Ufers wurden von Papyrussümpfen gesäumt, in denen sich Flusspferde suhlten. Zur Westseite des Sees hin erhoben sich weiche grüne Hügel, deren felsige Ausleger Landzungen bildeten, die in den See hinein ragten. Lediglich die Ruinen alter Wasserkraftwerke bildeten einen hässlichen Kontrast zur prächtigen Flora und Fauna der Hochebene. Sie waren bröckelige, mit verrosteten Pfeilern versehene Schandflecken, die weder der heiße Sand noch der Riesenbambus endgültig unter sich begraben hatten.
    In einiger Entfernung sah man die Hütten der freien Stämme. Es handelte sich hauptsächlich um Nomaden, die den See als Nahrungslieferanten und Wasserreservoir nutzten. Sie hatten sich dem Volk der Siringitumassai noch nicht angeschlossen und würden es vielleicht niemals tun.
    In weiter Ferne schließlich ragten einige mehr als dreißig Meter hohe Gebilde in die Höhe: die Behausungen von Wüstentermiten, steinharte Gebilde, die Wind und Wetter trotzten. Wo diese Bauten aufragten, waren Ameisenlöwen in der Regel nicht weit, vier Meter große Raubtiere, erbarmungslose Killer, denen man besser aus dem Weg ging.
    Rulfan kannte diese Gegend. Einmal hatte er sie mit einer Roziere überflogen, ein weiteres Mal, auf dem Weg zurück zu Lay, durchwandert. »Wir werden morgen Nachmittag Wimereux-à-l’Hauteur, die Wolkenstadt erreichen!« Er hatte sich einen Wanderstab geschnitten und legte seine Wange an das Holz, während er über den See blickte.
    »Wir müssen weiter«, drängte Aldous.
    »Jawohl, Meister!« Rulfan schob sich die hutähnliche Kopfbedeckung, die er aus Stroh und Reisig gefertigt hatte, in die Stirn, um seine empfindliche Gesichtshaut vor der unbarmherzigen Sonne zu schützen.
    Sie setzten ihren Weg fort. Rulfans Wanderstab peitschte Sand und Staub auf. Die Valvona stakste, als habe man sie mit einer Mechanik versehen. Aldous, dessen Körper schweißnass glänzte, starrte nur geradeaus und hatte es augenfällig eilig.
    Rulfan freute sich darauf, seinen Freund Victorius wieder zu sehen. Und er bebte wie elektrisiert bei dem Gedanken daran, Daa’tan zu töten!
    Am Ufer des Sees schlugen sie ihr Lager auf.
    Rulfan ließ es sich nicht nehmen, in das kühle Wasser zu springen. Für einen Moment wollte er weder an Wasserschlangen noch an Croocs denken. Aldous schimpfte wegen seines Leichtsinns. Schuldbewusst kam Rulfan zurück an Land. Er trocknete

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