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244 - Der dunkle Traum

244 - Der dunkle Traum

Titel: 244 - Der dunkle Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Ferkau
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einen Torbogen den äußeren Ring der Stadt. Otomobile brummten über die mit halben Nussschalen gepflasterten Straßen. Hier war alles in Leichtbauweise gehalten; sogar die Bäume und Sträucher waren künstlich aus Pappmaché und Seide erschaffen worden.
    Die Stadt war dicht bebaut. Kleinere Hütten bestanden aus Balsaholz, größere aus Bambus, aber hauptsächlich sah man Zelte im Außenbezirk. Offenes Feuer war hier streng verboten.
    Sie gingen in Richtung Stadtmitte und kamen zum Marktplatz, auf dem verlassene Stände auf den nächsten Tag warteten. Die Kuppeln des Regierungspalastes überragten alle Gebäude. Nichts deutete darauf hin, dass diese Stadt über dreihundert Meter hoch zwischen Himmel und Erde schwebte, nur durch gasgefüllte Ballons gehalten. Die Stabilisierungsrotoren und Gasdruckverteiler hielten Wimereux-à-l’Hauteur im perfekten Gleichgewicht. Pilatre de Rozier, der Flugpionier aus der Vergangenheit, hatte hier eine technische Meisterleistung vollbracht.
    In einiger Entfernung stieg ein Luftschiff – eine so genannte Roziere – in die Höhe. Auf einer Plattform standen drei Soldaten, vom kalten Licht biologischer Lampen angestrahlt; einer von ihnen hatte ein Fernrohr in der Hand.
    Überhaupt: Wohin Rulfan auch blickte, überall patrouillierten Soldaten. In ihren blauen Jacken, weißen Strümpfen, und Kniehosen wirkten sie geckenhaft auf den Mann aus Salisbury. Zu allem Überfluss trugen sie Perücken, meist weißes Kunsthaar, was bei den Tagestemperaturen quälend sein musste.
    Drei Witveer-Reiter (Witveer = Weißfeder; riesige mutierte Schwäne) stapften laut gestikulierend an ihnen vorüber. Sie schienen angetrunken, denn ihre Stimmen waren laut und vulgär. Einer blieb stehen und starrte auf die Valvona. »He, schaut mal! Ob man das Vieh wohl reiten kann?« grölte er.
    »Versuch’s doch!« antwortete einer seiner Saufkumpane.
    Rulfan vermisste seinen Säbel, den er – wie es das Gesetz verlangte – vor Betreten der Stadt hatte abgeben müssen. Solchen Kerlen war er immer wieder begegnet. Sie verhießen Ärger, meist auch dann, wenn man sich dem entziehen wollte. »Komm weiter und achte nicht auf sie«, zischte Aldous und zerrte Rulfan am Arm. »Warum bist du so zornig?«
    Ja, warum?, fragte sich Rulfan. In seinem Kopf irrlichterten Bilder wie kleine Explosionen. Daa’tan! Ich muss ihn töten! Er ist ein Monster! Er wird aus dem Kerker entfliehen und weiter morden! Das kann ich nicht zulassen! Er zitterte vor Erregung.
    »He, du da! Ist das dein Riesenhuhn?«, rief der Mittlere der drei Männer.
    Rulfan fuhr herum. Er warf den Kopf zurück und die langen Haare aus den Augen. Er sagte kein Wort und blitzte die Männer nur an. Die Witveer-Reiter grinsten verlegen und trollten sich.
    »Spar dir deinen Ärger für Daa’tan auf«, knurrte Aldous und schritt zielstrebig voran. Nach kurzer Zeit erhob sich der Regierungspalast vor ihnen, ein prächtiger Kuppelbau. Säulengruppen, Giebel und Fensterbekrönungen mit reichem ornamentalem Schmuck riefen den Eindruck von Kraft und Bewegung hervor – auch wenn sie nur aus Leichtmaterialien waren.
    Rulfan staunte einmal mehr, wie dekadent dieser Bau hier mitten in Afra wirkte. Der Platz vor dem Palast war belebt. Männer und Frauen, meist dunkelhäutige, aber auch Weiße, standen beieinander und schwatzten. Viele von ihnen waren prächtig gekleidet, die Männer in Westen und Kniehosen, mit weiß glänzenden Jabots, die Frauen in Reifröcken, deren Ärmel ellbogenlang waren und in flügelartigen Aufschlägen endeten. Die meterlangen Ausleger ihrer Kleider wischten über das Pflaster.
    Aldous verzog das Gesicht. »Ich habe schon gehört, dass Kaiser de Rozier aus dem fernen Euree stammen soll, aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass man dort so herumläuft.«
    Rulfan hätte ihm erklären können, dass de Rozier aus dem Frankreich des 18. Jahrhunderts stammte und ebenso wie Matt Drax durch einen Zeitstrahl in diese Epoche versetzt worden war – aber diese Geschichte hätte viel Zeit gekostet und endlose neue Fragen provoziert.
    Aus seinem Wanderbeutel zog Aldous eine dünne Leine, mit der er Winda an einem reich verzierten Geländer befestigte. »Ich glaube nicht, dass dein Freund Victorius eine Valvona in seinem Prachtbau duldet«, meinte er, und Rulfan nickte. Winda klappte zusammen und ließ sich brav anleinen. Nun sah sie harmlos aus wie ein treuer Hund. Sie erntete einige neugierige Blicke.
    Wenig später standen sie im

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